Ich hätte nicht gedacht, dass ich so schnell anfange mit Vorurteilen aufzuräumen und zu merken, was Deutsch-Sein bedeutet.
In der vergangenen Woche war ich voll mit der Orientierungswoche auf dem Campus beschäftigt. Die Uni hat für alle internationalen Studenten eine Kennenlernzeit und einen Informationsmarathon organisiert. Mit vielen wissenswerten Dingen, viel Essen und tollen Menschen. Es gibt eine große Gruppe Asiaten und Inder. Einige Afrikaner, Lateinamerikaner und natürlich auch deutsche! Ich bin noch nie in meinem Leben jemandem aus Tunesien begegnet, aber Zeinab beeindruckt mich jeden Tag wieder aufs Neue. Während ich mich langsam darauf vorbereite, eventuell an Weihnachten vor lauter Kulturschock in ein Loch zu fallen, steckt sie vielleicht schon mittendrin. Während der Campustour kam sie aus dem Staunen gar nicht mehr heraus und ich habe, während Zeinab von Tunesien erzählte, langsam begriffen, dass Amerika und Deutschland sich doch sehr ähneln!
Auf der Einladung stand: gemeinsames Frühstück!
Manches erscheint mir auf meinem Campus dennoch sehr absurd, aber ich denke gerade das ist es, was es im Moment sehr aufregend macht hier zu sein. Zu Beginn meiner Orientierungswoche habe ich alles in mich aufgesogen und begeistert mitgemacht. Für uns internationale Studenten wurde ein Marathon aus Präsentationen und Lunches organisiert, an dem wir gerne teilgenommen haben. Wir haben alles über unser Visum erfahren, uns in die Kurse eingewählt, angefangen englisch zu sprechen und nebenbei Donuts und Kuchen gefuttert.
Ich hatte zwei Seminare bevor ich nach Amerika gekommen bin. Dort und auch in der letzten Woche waren die Unterschiede zwischen den Amerikanern und anderen Kulturen Thema. Mir wurde erklärt, dass die Menschen hier wenig Verständnis gegenüber aufbringen. Private Fragen, wie die nach dem Beziehungsstatus, oder ob man Homosexuell ist werden schnell als Belästigung aufgefasst. Alles Dinge, die man verstehen und akzeptieren kann. Inder letzten Woche waren aber auch Themen wie Public Safety sehr wichtig, so wichtig, dass ich an drei Präsentationen zu diesem Thema teilgenommen habe. Hier wurde uns erklärt, dass man das Handy auch als Fußgänger in der Tasche lässt. Dass man immer genau weiß, wo man sich befindet, welche Straße man zuletzt gekreuzt hat. Uns wurde erklärt, dass man immer sein Umfeld im Auge behalten sollte, damit man weiß, wer einem wie lange und wohin folgt. Ich empfinde das, als wenn ich mir eine Privatsphäre schaffen soll, um die ich noch einen Zaun baue, damit mich keiner angreifen soll. Das wäre auch leicht zu verstehen, wenn nicht zeitgleich an meiner Uni ein Gruppen- und Nähegefühl erschaffen werden würde.
Zandi (Südafrika), Claudia (Deutschland) und Ich
Wenn man an der Uni ankommt, checkt man erstmal ein. Man bekommt einen St. Cloud State-Beutel mit Infomaterialien. Beim nächsten Check In kommt dann ein T-Shirt, auf dessen Rücken, das jeweilige College draufsteht. Auf Gruppenfotos sieht man nur rote, schwarze, graue T-Shirts. Zu diesem Gruppengefühl trägt maßgeblich auch das Maskottchen der St. Cloud State: Der Husky! Huskies sind treue Tiere, die sich zu einem Rudel zusammenfinden und dann lange beisammenbleiben. Ich bin jetzt ein Husky und werde es auch immer bleiben, zumindest in den Augen des Lehrkörpers. Dazu kommt, dass Amerikaner gerne Smalltalk betreiben. Sehr schnell kommt man auf eine Ebene in der man fast freundschaftlich miteinander umgeht.
Ich tue mir schwer mit dem Kontrast zwischen einer fast schon paranoiden Distanz und einer sehr privaten Nähe. In Deutschland gibt es das nicht. Man beginnt meistens damit fremde Menschen mit „Sie“ anzusprechen. Langsam lernt man sich besser kennen und wechselt zum „Du“. Man kombiniert das „Sie“ mit dem Vornamen. Man bewahrt zu Beginn eine Distanz und kommt sich Schritt für Schritt näher. Hier stellt man sich mit dem Vornamen vor. Professoren und Lehrer haben es meistens sogar lieber, wenn man sie bei ihrem Vornamen nennt. Sie begegnen einem direkt auf einer anderen Ebene.
Mir wurde erklärt, dass jeder, der im Ausland lebt einen Kulturschock erleidet. Manche direkt am Anfang, manche später, weil sie von den faszinierenden Unterschieden mitgerissen werden. Das gilt auch für mich. Jeder Neuanfang, mit der Routine zu brechen, bewirkt doch erstmal eine Euphorie. Ich denke, wenn das langsam zur Routine wird und ich mehr Zeit habe alles zu überdenken und zu vergleichen, dann werde ich in ein Loch fallen.
Aber so wie es im Moment ausschaut ist dieses Loch noch Meilenweit entfernt.
See you soon,
eure Clara
Liebe Clara,
wie ich sehe kommst Du langsam in dem Alltag an. Das Gefühl der Achterbahn kenne ich im Ausland, vorallem wenn man so lange weg ist aus Deutschland. Am Ende pendelt sich das ein.
Grüße aus Kassel
Matthias