Ich habe mir viel Zeit gelassen diesen neuen Eintrag zu schreiben, allerdings gezwungener Maßen. Seit meinem letzten Blogeintrag, den ich an einem sehr verschneiten See geschrieben habe, ist unheimlich viel passiert und es hat sich viel verändert. Nur das Wetter ist immer noch das gleiche: kalt und verschneit.
Mittlerweile ist bei mir die zweite Hälfte meines Austauschjahres angebrochen. Für mich bedeutet das, dass ich seit dem 8. Januar arbeite. Eine Auflage meines Programms ist es vierzig Stunden die Woche zu arbeiten und da es schwierig für mich war eine Vollzeitstelle zu finden arbeite ich in zwei Jobs. Die meisten Stunden absolviere ich in einem Hotel als „Housekeeping Assistant“. In diesem Feld werden immer Leute gesucht, weshalb es immerhin in diesem Betrieb leichter war eingestellt zu werden. Ich räume im Moment also die meiste Zeit fremde Zimmer auf, mache Betten und putze Badezimmer. So banal es klingt, es macht mir Spaß, denn man muss ordentlich und organisiert arbeiten um in einer halben Stunde ein Zimmer sozusagen auf null zu setzen, und es dann wieder für einen neuen Gast herzurichten. Das bedeutet alle alten Handtücher müssen raus und neue rein, das Bett muss neu bezogen werden, das Geschirr muss abgespült werden… Es ist eine körperlich anstrengende Arbeit in der man viel am laufen und sich bücken ist (an sehr anstrengenden Tage läuft man schon seine acht bis zehn Kilometer). Eigentlich lebe ich seit sechs Wochen mit permanenten Muskelkater, aber ich habe mich daran gewöhnt und es wird immer besser.
Meine zweite Stelle habe ich kurz vor der Deadline auch noch gefunden und es erscheint mir immer noch wie ein kleines Wunder, dass es geklappt hat. Tatsächlich arbeite ich als Schneiderin, was ich ja in Deutschland gelernt habe. Unsere Organisation hatte uns gebeten bis zum 15. Dezember des letzten Jahres einen sicheren Arbeitsplatz gefunden zu haben. Die Stelle im Hotel hatte ich schon, dort konnten mir aber nur maximal dreißig Stunden die Woche garantiert werden, weshalb ich etwas verzweifelt nach einer zweiten Stelle gesucht habe, in der ich Spätschichten arbeiten könnte. Ich habe im Dezember dann angefangen in die Läden der Mall reinzugehen und zu fragen ob sie gerade einstellen. Obwohl alle Läden mich gebeten haben so schnell wie möglich eine Bewerbung einzureichen, habe ich bis heute nichts von ihnen gehört.
Am 13. Dezember ist mir dann zu ersten Mal, seitdem ich in St. Cloud bin, „stitch it“ ins Auge gestochen: eine Änderungsschneiderei. Ein Resume hatte ich zu der Zeit JEDERzeit in meiner Tasche. Ohne einen echten Plan, lediglich mit dem ziel im Kopf dort eine Stelle zu bekommen, und wenn es nur zehn Stunden die Woche ist, bin ich in den Laden gegangen und habe glücklicherweise Barbara, meine jetzige Managerin, getroffen. Direkt in diesem Gespräch hat sie mir gesagt, dass sie mich einstellen möchte, sie werde gleich morgen mit ihrer Managerin sprechen. Als ich am nächsten Tag mit der offiziellen ausgefüllten Bewerbung zurückkam hatte sie schon alle Unterlagen auf dem Tisch um mich einzustellen. Als Barbaras Managerin hörte, dass sich eine junge deutsche Schneiderin vorgestellt hatte, sagte sie nur: „Stell sie ein Barb!“ tatsächlich habe ich meinen Nähtest erst abgelegt, nachdem ich eingestellt wurde und nach den ersten paar Wochen habe ich Barbara und meinem Kollegen Evan mein Portfolio gezeigt.
„stitch it“ ist eine kanadische Kette die auch einige Läden in Minnesota hat. Bekannt ist unser Laden dafür, dass wir Aufträge meistens sofort erledigen, dass heißt innerhalb von drei Stunden. Gekürzte Hosen werden von unseren Kunden in der Regel nach einem kurzen Spaziergang durch die Mall wieder abgeholt. Für mich bedeutet das, dass ich unheimlich viele neue Erfahrungen mache. Genau wie im Hotel muss ich zügig und konzentriert arbeiten, denn je schneller ich bin umso mehr Aufträge kann ich an einem Tag erledigen und aufnehmen. Ich brauchte ehrlich gesagt ein bisschen mich daran zu gewöhnen, hatte ich doch in meiner Ausbildung gelernt, dass Zeit in meinem Beruf wichtig ist. Jeder der näht weiß, wie wichtig es ist sich die Zeit zu nehmen Nähte gut auszubügeln und Säume ordentlich und gleichmäßig umzubügeln und mit Stecknadeln zu fixieren, bevor man etwas absteppt. Diese Zeit habe ich nicht immer, was sich aber überraschende weise nicht zu meinem Nachteil entpuppt. Dadurch lerne ich mich mehr auf die Materialien zu konzentrieren und schneller herauszufinden, wie ich mit verschiedenen Stoffen umgehen muss. Ich lerne an den richtigen Stellen an Handgriffen zu sparen. Das kommt auch dadurch, dass man in unserem Laden oft inmitten einer Sache unterbrochen wird, weil ein Kunde in den Laden kommt und bedient werden möchte. Der Kundenkontakt war sehr neu für mich, aber es macht mir unheimlich viel Spaß, besonders weil ich jetzt Anproben selber machen darf und meine Managerin dabei über die Schulter schauen darf. Außerdem bekommt man immer mal wieder schöne Geschichten zu hören, aber dazu ein anderes Mal mehr.
Die ersten zwei Arbeitswochen waren verhältnismäßig entspannend und dementsprechend eine gute Eingewöhnungsphase. Danach wurde es für mich unheimlich anstrengend, da ich zwei Wochen lang knapp sechzig Stunden die Woche gearbeitet hatte. In beiden Betrieben fehlten Mitarbeiter und die Arbeit musste von uns aufgefangen werden. So wurden aus meinen zehn Stunden bei „stitch it“ schnell fünfundzwanzig pro Woche und dazu noch die dreißig Stunden im Hotel. An den meisten tagen habe ich in beiden Jobs gearbeitet mit maximal einer Stunde Pause zwischendurch, was mich auf zehn bis elf Stunden pure Arbeitszeit am Tag brachte. In der Regel habe ich im Moment eine sechstage Woche und den einen freien Tag habe ich in den letzten Wochen in der High-School meines Gastbruders verbracht und die Deutschkurse besucht um meinen Community Service zu absolvieren. Dadurch hatte ich am vergangenen Samstag meinen ersten komplett freien Tag nach knapp drei Wochen.
Zu alledem habe ich mich auch dazu entschlossen einen Geschichtskurs mit dem Thema „Europa und der zweite Weltkrieg“ zu belegen. Aufgrund des hohen Arbeitspensums habe ich mich aber selber dazu entschieden „nur“ noch Gasthörerin zu sein und nicht ganz aktiv daran teilzunehmen. Für mich ist dieser Kurs aber einmal pro Woche Zeit zum Durchatmen und entspannen. Ich lerne viel Neues über die deutsche Geschichte und das von einer anderen Perspektive, was ich sehr genieße.
Es ist im Moment eine sehr anstrengende aber sehr erfahrungsreiche Zeit. Ich lerne unheimlich viel Neues über Amerika, Deutschland, aber auch über mich selber und daher schätze ich die Zeit sehr.
Dennoch freue ich mich auf die kommenden Wochen, denn da eine Kollegin von der Änderungsschneiderei gekündigt hat werde ich ihre Schichten arbeiten und nur noch ein oder zwei Tage im Hotel sein. Dadurch bekomme ich nach zwei Monaten wieder einen geregelten Wochenablauf und vor allen Dingen zwei aufeinanderfolgende freie Tage! Ich freue mich auch sehr darauf, da ich in der letzten Zeit das Gefühl hatte, dass meine Freunde und Gastfamilie zu kurz kommen und damit auch ich selber, dafür werde ich wieder etwas mehr Zeit haben, was mir unheimlich wichtig ist, weil die Zeit im Moment verfliegt und die kommenden fünf Monaten mir vermutlich vorkommen werden wie ein Wimpernschlag.
Ich hoffe sehr, dass mein nächster Eintrag nicht so lange auf sich warten lässt, aber jetzt freue ich mich erstmal auf ein Hockeyspiel der „Minnesota Wilds“ was ich mir mit meinem Bruder anschauen werde und auf das Zwischenseminar in Washington D.C. zudem ich mich am kommenden Wochenende auf den Weg mache.
See you soon,
eure Clara