Apprenticeships around the World

Different Country, Different Me?

Ich bin immer gerne Zug gefahren. Ich weiß, dass Viele in Deutschland auf die deutsche Bahn schimpfen von wegen Pünktlichkeit. Ich mochte es schon immer, mich in den Zug an ein Fenster zu setzten und einfach die Landschaft zu genießen oder ein Buch zu lesen. In alten ICs werde ich immer ein wenig nostalgisch, schiebe ein Fenster runter und halte mein Gesicht in den Fahrtwind.

Das alles hatte ich ein Jahr lang nicht. Zum Reisen in den USA habe ich entweder mein Auto, oder den Flieger genommen, aber leider nie einen Zug. Das war etwas, was ich während meines Austauschjahres sehr vermisst habe.

Mit meinen Schhwestern in Fort Walton Beach, Florida

Ich habe lange nicht mehr berichtet, wie es mir ging und mittlerweile bin ich auch schon wieder seit knapp zwei Monaten zuhause in Deutschland. Es lag einerseits daran, dass es in den letzten vier Monaten nicht viel Neues gab und andererseits, weil meine Gedanken in diesen Monaten sehr durcheinander waren und ich dieses Chaos erst einmal beseitigen wollte.

Bis Anfang Mai war bei mir alles okay. Ich konnte gut damit umgehen, dass man in Minnesota Gewehre und Pistolen im Supermarkt direkt neben den Spielwaren finden kann. Ich konnte darüber schmunzeln, dass die Leute in meinem Umfeld sagten, dass Politik ein privates Thema ist (was ich persönlich ganz anders sehe) und deswegen nicht darüber sprechen wollen. Und ich konnte es aushalten, alles mit dem Auto zu machen und nicht Fahrrad zu fahren oder zu laufen.

Dann wurde mir plötzlich alles zu viel. Um genau zu sein, hatte ich schon im April einiges über. Nachdem ich meine Schwester über Ostern im Süden der USA besucht hatte, fiel es mir sehr schwer, wieder in das immer noch verschneite Minnesota zurück zu fliegen. Es störte mich, dass man sich nur beim Vornamen nennt, auch wenn man sich gerade erst kennen gelernt hatte. Diese dadurch entstandene Nähe erschien mir oberflächlich. Es nervte mich, dass Telefonate nur mit „Hello?“ beantwortet wurden und ich einfach nicht wusste, mit wem ich sprach, oder ob ich mich verwählt hatte.

Ich begann Dinge in Frage zu stellen und wollte wieder diskutieren, mich besonders über Politik mit den Amerikanern austauschen. Ich stieß dabei aber leider oft auf taube Ohren, weil die meisten die ich kennengelernt habe, Politik als etwas Privates ansehen, was man nicht einmal mit Freunden und Verwandten bespricht.

Nachdem ich im Mai dann den Film „X-Ray“ angeschaut hatte, der die Zeit einer jungen Soldatin in Guantanamo Bay beschreibt, fing ich an, Dokumentationen über Guantanamo Bay, die amerikanischen Waffengesetze und Donald Trump zu schauen. Doch anstatt, dass diese mir Klarheit verschafft hätten, verwirrten sie mich eigentlich noch mehr. Mir erschienen die USA plötzlich so unfrei, wobei es sich doch um das Land handelt, in das so viele gekommen sind, um endlich Freiheit zu erfahren. Ich hatte plötzlich den Eindruck, dass dieses Land mit seiner Mentalität, wie ich sie kennengelernt habe, sehr einschränkt und eben nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist, in dem man „vom Tellerwäscher zum Multimillionär“ werden kann. Ganz im Gegenteil. Es klammert sich fest an seinen alten Vorstellungen von Freiheit.

Ich denke, das Bild zeigt am besten, wie sich viele Menschen Amerika vorstellen: Florida, sonnig warm und keine Sorgen, weil man ja frei ist

Ein junger Amerikaner hat mir mal versucht zu erklären, warum die Amerikaner sich so weigern, beziehungsweise schwer tun, die Waffengesetze zu verschärfen. Die Erklärung war mehr eine Geschichtsstunde zurück in die Zeit der Siedler, des Goldrausches und der Kämpfe gegen Indianer. Die Pistolen und Gewehre seien das einzige Symbol der Freiheit, das aus dieser Zeit übrig geblieben sei, und deswegen sei es sehr wichtig, das Recht eine Waffe zu besitzen zu erhalten.

Ich habe mich lange mit meiner Mutter über dieses Thema unterhalten und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass in den USA, oder wenigstens in der Umgebung, in der ich gelebt habe, noch sehr an alten, vergangenen Werten festgehalten wird. Ich kann das nicht verstehen, wie ein Land auf einer Seite so fortschrittlich sein kann (z. Bsp. Im Silicon Valley) und zur gleichen Zeit aber so festgefahren.

Ich habe in dem vergangenen Jahr dadurch gelernt zu akzeptieren, dass mir vieles zweigeteilt erscheint. Für mich gab es oft nur schwarz oder weiß und selten Graustöne oder das ganze Farbspektrum. Angefangen bei der Politik: entweder Demokraten ODER Republikaner, aber eine Partei, die von beidem ein bisschen vertritt oder mal was ganz Neues an den Start bringen würde, gibt es nicht. Krankenversicherung oder halt keine, weil das Geld oft nicht reicht. Studium oder kein Studium, Ausbildungsmöglichkeiten wie bei uns gibt es ja nicht.

Das erste dreiviertel Jahr war einfach alles aufregend. Jeden Tag gab es etwas Neues zu entdecken und stressige Situationen konnte ich einfach ausblenden, weil mir Reisen nach San Francisco, Washington D.C. und Atlanta bevorstanden. Ich würde die ersten neun Monate als Honeymoon-Zeit beschreiben: Alles neu, alles ungewohnt und einfach anders. Mit der Praktikumsphase hat sich der Alltag eingeschlichen. Der Tagesablauf im Hotel war immer der gleiche und auch wenn bei „stitch it!“ jeden Tag neue Kunden in den Laden kamen, ähnelte jeder Tag dem anderen. Rückblickend haben sich noch nicht einmal die Gespräche verändert.

Mit meinen Eltern auf dem Campus der Saint Cloud State University, an der ich ein Semester studiert habe

Am vergangenen Wochenende hat mein Abschlussseminar in Köln stattgefunden und ich hatte endlich Zeit mich mit anderen Teilnehmern auszutauschen, Geschichten zu erzählen und nochmal über das ganze Jahr nachzudenken. Wir haben viel über unsere Erfahrungen mit den Amerikanern dort gesprochen, was unsere Schwierigkeiten im vergangenen Jahr waren, aber auch wie diese uns geprägt und weitergebracht haben.

Unter anderem haben wir über diese Dinge gesprochen, indem wir ein typisch amerikanisches Sprichwort ins Zentrum der Diskussion gestellt haben: Zum Beispiel: „Take it easy“, „Just do it!“ und „Life is what you make of it“. Natürlich stehen diese Sprichwörter für die Leichtigkeit und Risikobereitschaft der Amerikaner, schnell wurde uns allen aber klar, dass das eine sehr oberflächliche und in unseren Augen wenig reflektierte Lebensweise ist.

In dieser Gesprächsrunde sind wir zu dem Schluss gekommen, und das passt auch zu meinem Gefühl, trotz dieser „Freiheit“ so eingeengt zu sein. Denn unter dieser  Lockerheit liegt eine Strenge, die kein Fehlverhalten zulässt. Eine Teilnehmerin erzählte davon, dass an ihrem Arbeitsplatz Strafpunkte vergeben wurden, wenn man nur eine Minute zu spät zur Arbeit kam, oder wenn man krank war (trotz Krankschreibung!). Nach sieben angesammelten Punkten wird man gefeuert. Strenge wird auch bei dem Thema Sexualität gezeigt. Meine Gastfamilie hatte mir verboten, männliche Übernachtungsgäste in meinem Zimmer zu haben. Ein anderer Teilnehmer erzählte, dass er bei Damenbesuch seine Zimmertür offen lassen musste, weil sich seine Gastmutter sonst unwohl fühlte. Es gab noch einige weitere Geschichten, wie diese.

Nach dem letzten Wochenende habe ich einmal mehr festgestellt, wie wohl ich mich in Deutschland fühle und wie gut ich mit unseren Gepflogenheiten zurechtkomme. Ich genieße es im Moment, gesiezt zu werden und andere Menschen zu siezen. Ich mag es, wenn ich in einem Laden oder einer Bankfiliale mit meinem Nachnamen angesprochen werde. Da bleibt man bei etwas Offiziellem auf einer sachlichen Ebene, auf der trotzdem ein freundliches Verhältnis gepflegt wird. In den USA wurde mir oft eine Nähe vorgegaukelt, die es so eigentlich nicht gab.

Währen des Seminars haben wir eine Gedankenreise gemacht. Wir haben Momente auf unsere innere Leinwand projiziert, an die wir alle nicht mehr so oft gedacht haben: Von der Ausreise und den ersten Tagen in New York City, dem Ankommen im Platzierungsort, in der Gastfamilie und am College, Thanksgiving, Weihnachten und Silvester, der Jobsuche und dem Arbeitsbeginn bis hin zu unserem Abschlussseminar in New York City und der Ausreise. Ich habe viele schöne Bilder in meinem USA Film gehabt, die ich nicht vergessen werde. Ich habe meine Freunde gesehen, die mir bleiben werden, weil ich mit ihnen wunderbare Erinnerungen teile und vielleicht mit ihnen noch mehr davon machen werde.

Mit Regina (die ein Jahr lang in Appleton, Wisconsin war) nach einer „Chicago“-Vorstellung am Broadway, NYC

Zum Abschluss des Seminars gab es eine kleine Zeremonie, in der uns Urkunden überreicht wurden. Zu jedem Teilnehmer sagte Theo Fuß (Mitarbeiter der GIZ und zuständig für das PPP) etwas. Als ich aufgerufen wurde, sagte er, dass ich Minnesota lieben gelernt und daher lieber meinen Staat bereist habe, als woanders hinzufahren. Und es stimmt: Minnesota ist bezaubernd schön und ich kann jedem nur empfehlen dort Urlaub zu machen besonders „Up North“, also im Norden.

Ich habe einiges aus diesem Jahr mitgenommen: Freunde, schöne Landschaften, wertvolle Erfahrungen. Ich habe mich selbst noch besser kennengelernt und dadurch auch festgestellt, dass ich großes Glück habe, in Deutschland leben und arbeiten zu dürfen. Wir haben eine Vielfalt hier, die wir pflegen sollten, und gerade jetzt, wo die AFD groß wird, gegen Migranten gehetzt wird und sich die deutsche Bevölkerung zu spalten scheint, sollten wir uns erneut vor Augen führen, was dieses Land seit dem zweiten Weltkrieg alles geschafft hat, was es aufgearbeitet und aufgebaut hat. Wir müssen die Vorzüge, die Deutschland bietet (ich meine Dinge wie Krankenversicherungen, Arbeitsverträge, Arbeitslosengeld etc.) wieder schätzen lernen, anstatt sie wegen kleiner Schwäche tot zu diskutieren. Wir haben sie und die Amerikaner haben sie nicht! Wir haben dadurch, wie ich finde, ein bisschen mehr Lebensqualität, da unser Leben in dieser Hinsicht gesicherter ist als das Leben vieler US-Amerikaner.

In den letzten Wochen bin viel unterwegs gewesen und habe viel erledigt. In Zügen habe ich immer Zeit, nachzudenken und den Gedanken nachzuhängen. Ich kann abschalten und rekapitulieren. Ich bin froh wieder in Deutschland zu sein, bin mir aber sicher, dass ich aus dem Jahr in den USA viel mitgenommen habe. Es war nicht das Jahr meines Lebens und trotzdem war es ein Jahr, das mir viel mit auf den Lebensweg gegeben hat. Ein Jahr, von dem ich noch lange zehren werde:
Die Jobsuche in den USA hat mich vorbereitet auf die Jobsuche in Deutschland, weil es härter war als hier. Die Arbeit bei „stitch it!“ hat mir gezeigt, dass ich am Theater richtig aufgehoben bin. Die Mentalität, die ich dort kennengelernt habe, hat mich mehr für andere Kulturen geöffnet, besonders aber für meine eigene.

Minnesota, Minnesota (im Itasca State Park wo die Quelle des Mississippi liegt)

Für mich geht es jetzt in Paderborn weiter. Ich werde dort in der Schneiderei des Theaters arbeiten und wieder genau das tun, was ich in meiner Ausbildung gelernt und geliebt habe. Ich wer das letzte Jahr mitnehmen und meine Erfahrungen teilen!

See you soon
Eure Clara