Apprenticeships around the World

Stehaufmännchen

„Ich kritisiere sehr, dass diese Flexibilität von jungen Menschen bedingungslos gefordert wurde und niemand hinterfragt hat, was das mit uns macht.“

Ich wurde neulich gefragt, ob ich mir Sorgen machen würde nach meiner Weiterbildung eine Stelle an einem Theater zu finden, jetzt wo sie doch eine schwere Zeit hinter sich haben und nicht jedes Theater das Geld hat. Ich hatte bis dahin nicht einmal darüber nachgedacht, ob die Pandemie und die damit fehlenden Einnahmen von Theatern zu einen Stellenabbau in den Werkstätten führen könnten. Und ich bin froh, dass mir dieser Gedanke nicht gekommen ist, ansonsten wären die letzten Monate noch schwerer durchzuhalten gewesen.

Blick ins Tutu – das erste Tutu was ich je gemacht habe, zusammen mit einer Mitschülerin

Seit August vergangenen Jahres mache ich meine vollschulische Weiterbildung zur Gewandmeisterin Fachrichtung Damen und auch wenn ich schon viele Jahre darüber nachgedacht habe, wie diese Weiterbildung sein würde auf die Idee, dass ich die Hälfte meines ersten Schuljahres per Onlineunterricht absolvieren würde, bin ich nicht gekommen.

Schon im ersten Lehrjahr meiner Ausbildung zur Damenmaßschneiderin am Staatstheater Kassel stand für mich fest, dass ich Gewandmeisterin werden möchte. Meine damalige Gewandmeisterin hat mich begeistert und ich habe mir zu der Zeit gedacht, wenn ich auch nur ansatzweise so werde wie sie, dann habe ich schon was erreicht. Der Beruf der Gewandmeisterin fand im magischen Raum der Anprobe statt, dort wurden die Grundsteine für ein Kostüm gelegt in Form von Schnittmustern und zugeschnittenen Stoffbahnen. Die Anprobe war der Raum in den man nicht so oft kam, schon gar nicht während der Anproben. Für mich war es immer etwas besonderes, dort schnell durch zu huschen um ein Nadelkissen rein zureichen und dabei einen ersten Blick auf das Kostüm an der Schauspielerin zu erhaschen.

Ich liebe mein Handwerk. Ich finde es immer noch wundervoll zu sehen, wie etwas entsteht und aus einer platten Fläche ein Kleidungsstück zu formen, dass sich dreidimensional um den Körper legt. Aber der Beruf der Gewandmeisterin bietet mir und den Dingen, die ich gerne tue, noch mehr Raum diese auszuleben. Mit dem konstruieren der Schnitte setze ich bei der Entstehung eines Kostüms noch einen Schritt weiter vorne an. Ich bin viel in Kontakt mit neuen Menschen, lerne Kostümbildner und Schauspieler kennen und bin so ein Scharnier zwischen der Welt des Handwerks und der Welt der Kunst. Nur für die Kunst zu arbeiten würde mir dann doch zu bunt werden.

Vorbereitungen zu weiteren Schnittkonstruktionen

Ich bin also im vergangenen Sommer, nach knapp fünf Monaten in Heimarbeit nach Hamburg gezogen und habe mich unglaublich gefreut, dass die Weiterbildung begann und die einzige Einschränkung Stoffmasken waren – Einschränkungen die gut auszuhalten waren.

Die letzten Wochen vor den Sommerferien durfte ich auch wieder ohne viel nachzudenken jeden Tag in die Schule kommen, zwar mit FFP-2 Maske im Gesicht und regelmäßigen Schnelltests, aber besser als noch einen weiteren Tag von meinem Zimmer aus zu arbeiten. Denn ab Dezember 2020 kam das Homeschooling durch das ich zunächst gut gekommen bin, weil ich mir viel Zeit zum planen und To-Do-Listen schreiben genommen habe. Weil ich mich dazu gezwungen habe mich nicht zu wundern, dass ich jetzt viel schneller mit den vorgenommenen Aufgaben fertig bin. Und vor allem weil ich irgendwann die Politik und die Entscheidungen von Bund und Ländern nicht mehr ernst genommen habe.

Um ganz ehrlich zu sein, haben mir die ersten Wochen sehr gut getan. Ich hatte Zeit für mich, konnte konzentriert arbeiten, weil es keine Ablenkung gab und wenn ich einen nicht so guten Tag hatte war ich immerhin in einer Umgebung, die sich gut anfühlte. Ich habe mein bestes gegeben meine Disziplin hochzuhalten um nicht jeden Tag um 12 Uhr auf der Couch zu landen und da haben sich Wecker und To-Do-Listen als wahre Wunder entpuppt. Ich habe weiterhin einen gleichmäßigen Tagesablauf eingehalten, zur selben Zeit aufstehen, Mittagessen und Feierabend machen. Irgendwann habe ich dann gemerkt, wie viel Kraft es kostet, das alleine durchzuhalten.

Innenverarbeitung Korsett

Wege fielen weg -alleine durch den fehlenden Schulweg gewann ich 90 Minuten pro Tag- , Wege wurden kürzer -mein Zimmer ist einfach kleiner als die gesamte Etage, die uns in der Schule zum arbeiten zur Verfügung steht- und durch das kontinuierliche arbeiten wurden die Dinge einfach schneller fertig. Es hat ein bisschen gebraucht, bis ich das verstanden hatte und nicht mehr glaubte faul zu sein, nur weil ich jetzt zu Hause und teilweise von der Couch aus arbeitete.

Was mich auf Dauer mürbe gemacht hat, war der Fakt, dass ich ab Januar mehr schwarze Felder bei Zoom, Moodle, Webex etc. als Menschen gesehen habe. Ich war bereit zu planen und umzuplanen, aber nur wenn ein klares Ende in Sicht wäre, was die Politik nicht zugelassen hat. Das Hoffen, dass es vielleicht in zwei Wochen, sieben oder zehn Tagen normal und in Präsenz weitergeht, und die Enttäuschung, dass es doch nicht klappt, hat mich erschöpft. Ich wurde in einem Interview zu diesem Thema befragt und die Journalistin hat meine Aussagen perfekt zusammen gefasst: „Ich kritisiere sehr, dass diese Flexibilität von jungen Menschen bedingungslos gefordert wurde und niemand hinterfragt hat, was das mit uns macht.“ Wenn ich jetzt zurück blicke, weiß ich was ich mir von der Politik gewünscht hätte, und zwar einen harten Lockdown, wie andere europäische Länder um uns herum. Nach Weihnachten das Land für drei Monate dicht machen, egal wie die Zahlen sind und dann zwei Wochen vor Ende auswerten wo wir stehen. Ich bilde mir ein, dass ich damit besser hätte umgehen können als mit diesen Häppchen an Optimismus die mir zugeworfen wurden.

Trotzdem kam ich an den Punkt, an dem ich an mein Höhlenleben gewöhnt war. Ich konnte damit umgehen, dass meine Schulsachen auch noch von meinem Bett zu sehen waren und dass ich eigentlich jeden Abend staubsaugen musste um Fäden und Flusen aufzusaugen um langsam wieder das Gefühl zu haben in meinem Zimmer und keiner Werkstatt zu sein. Langsam gewöhnte ich mich daran Privatleben und Schulleben, das im selben Raum stattfand auszubalancieren.

Ich habe sechs Jahre lang darauf hin gefiebert diese Weiterbildung anzufangen, wie viele meiner Mitschülerinnen auch. Und es stimmt mich schon traurig, dass ich mich in meinem ersten Jahr der Weiterbildung mehr darum gekümmert habe, unter welchen Bedingungen ich in ein Schulgebäude darf, oder meine Freunde sehen darf, oder Materialien kaufen kann, als einfach auszuprobieren, was mit dem Beruf der Gewandmeisterin alles möglich ist.

Es war zwar ein taffes Jahr, aber es gab schon auch eine Menge zu lachen

Aber nein, ich mache mir keine Sorgen eine Stelle am Theater zu bekommen. Ich meine, ich möchte für Theater arbeiten, die Stehaufmännchen Deutschlands. Die gesamte Kulturszene hat mich in dem letzten Jahr beeindruckt, in dem so ziemlich alles gefördert und unterstützt wurde (auch Pelzfarmen in Dänemark), nur sie nicht so wie sie es verdient hat. Dabei standen die Hygienekonzepte zuerst in Schauspiel- und Opernhäusern, sowie Konzertsälen fest. Theater sind wandelbar, mussten sich immer wieder neu erfinden und haben es auch so durch die Pandemie geschafft. Es wird sich eine Stelle für mich finden, vielleicht nächstes Jahr, vielleicht auch erst in zwei Jahren, an einem Schauspielhaus oder einem Mehrspartentheater, in Deutschland, der Schweiz oder Österreich. Da bin ich mir sicher.

Bis bald,
Ihre Clara