Schon während meines Austauschjahres habe ich mir schwer getan eine Antwort zu finden, wenn jemand einfach nur „Erzähl doch mal“ zu mir sagte. Eigentlich wünsche ich mir, dass mich jemand mit Fragen bombardiert und ich genau weiß wovon ich doch mal erzählen soll. Das macht es für mich leichter: Ich weiß wo ich anfangen und wo ich aufhören muss.
Neulich habe ich nach über einem Jahr einen Freund wiedergetroffen. Er hatte wie immer wenig Zeit, weil er direkt weiter zum nächsten Job musste. Es blieb wenig Zeit zum Erzählen und zum Reden. Deswegen hatte ich beschlossen mir Zeit zu nehmen und ihm einen ordentlichen Brief zu schreiben und von einigem zu berichten. Und zwar nicht von den Dingen, die ich in meinem letzten Eintrag angesprochen habe, sondern von schönen Erlebnissen, wie meine Reisen nach San Francisco und nach Georgia.
Es ist mir wichtig, dass ich nach dem letzten Eintrag auch so etwas hier veröffentliche, weil mein Jahr in den USA auch viele gute Seiten hatte.
Ich habe in einem langen Brief einen Reisebericht an einen guten Freund geschrieben und darf mit seiner Zustimmung Auszüge daraus veröffentlichen:
„[…] Ich finde es bemerkenswert, dass du zwei Wochen Urlaub in NYC gemacht hast. Als ich dort letztes Jahr gelandet bin, fand ich es ehrlich gesagt ziemlich schrecklich dort. Mir war alles zu gerade. Die Straßen laufen ja schnurgerade, im rechten Winkel zu einander in alle Richtungen. Schaut man hoch geht es dort genauso gerade weiter. Und alles ist so grau. Ich war letztes Jahr zuerst mit ein paar Leuten aus meinem Programm unterwegs, die allerdings ihre Bucketlist am Start hatten, die es galt in vierundzwanzig Stunden abzuarbeiten. Ich war ziemlich froh, als ich in der Grand Central Station verloren ging. Das war für mich der beste Tag in dieser Stadt. Ich bin dann etwa dreißig Blocks bis zum Central Park gelaufen und habe einfach die Sonne genossen und ein Buch gelesen. Ich war tierisch froh, als es endlich von NYC weiter nach Minnesota ging, wo ich das letzte Jahr gelebt habe.
Trotzdem war ich dieses Jahr im Juli noch einmal in New York. Alle Teilnehmer haben sich dort getroffen und sind dann zusammen ausgereist. Ich habe mich schon ein paar Tage vor der gemeinsamen Rückreise dort mit einer Freundin getroffen. Wir haben uns ein Airbnb in Brooklyn gemietet, Wein getrunken und viel gute Musik gehört (hauptsächlich modern Country, was ich wirklich gerne höre, seitdem ich in den USA war). Nach einem Jahr in den USA, in dem ich mich daran gewöhnt habe, dass amerikanische Städte einfach quadratisch-praktisch-gut aufgebaut sind, kam ich auch in NYC zurecht. Es waren wirklich gute letzte Tage.
Wenn du nochmal zum Urlaub machen in eine amerikanische Großstadt fliegen willst kann ich dir nur San Francisco, Washington D.C., Atlanta und (wenn es etwas kleiner sein darf) Madison in Wisconsin empfehlen. Alles Städte, in denen ich wirklich gerne war, vielleicht weil sie mir offener und europäischer vorkamen als Minnesota.
In San Francisco war ich vor knapp einem Jahr. Kurz nach meinem Geburtstag habe ich dort eine Bekannte besucht, die vor vielen Jahren in Göttingen studiert hat. Es war ein perfekter Trip. Ich habe jeden Morgen mit Blick auf Palmen und den Pazifik gefrühstückt und dann die Stadt mit jemandem erkundet, der seit einigen Jahren dort lebt. Das ist eigentlich das Beste, was einem passieren kann. Auf diese Art lernt man eine Stadt so viel besser und gar nicht nur touristisch kennen. Sie hatte den perfekten Mix aus ihren Lieblingsplätzen und Sehenswürdigkeiten gefunden und mich dann auch noch in die Oper eingeladen. „La Traviata“ kannte ich zwar schon, aber ich habe noch nie eine so schöne Inszenierung gesehen. Der gesamte Chor stand in historischen Kostümen auf der Bühne. Die San Francisco Opera hatte eine perfekte Welt des späten 19. Jahrhunderts auf die Bühne gebracht. Und obwohl diese Oper wirklich schon lange in dieser Fassung auf der Bühne steht hat man davon nichts gemerkt. Mir kam es vor als wäre es die Premiere und die Motivation noch sehr hoch!
San Francisco ist eine wunderschöne Stadt mit einer unfassbaren Vielfalt! Das habe ich in Minnesota das Jahr über vermisst. Minnesota ist ein sehr weißer, republikanisch geprägter Staat. Man sieht selten Afroamerikaner, Inder, Pakistani oder Mexikaner. Ich bin wirklich froh, dass ich am Anfang bei Events internationale Freunde gefunden habe. Ich hing am liebsten mit den pakistanischen Zwillingen ab, die ein wirklich leckeres Curry kochen und nebenbei eine angenehme Weltanschauung vertreten.
Als ich meine Schwester besucht habe, die jetzt in Kennesaw (Georgia) studiert, musste ich mich wirklich wieder daran gewöhnen andere Hautfarben zu sehen. Es ist verrückt, wie schnell man sich an ein bestimmtes Stadtbild gewöhnt. Zusammen mit meinen Schwestern habe ich einen kleinen, kurzen Roadtrip von Georgia durch Alabama nach Florida gemacht. Das war das Osterwochenende in diesem Jahr. Ich war so froh endlich wieder in einer Gegend zu sein in der es wärmer als 0°C war, in der kein Schnee lag und wo es grünes Gras gab.
Du musst wissen, dass ich den ersten Schnee letztes Jahr im Oktober hatte. Ab da an wurde es kontinuierlich kälter und ab November hatten wir permanent etwa dreißig Zentimeter Schnee. Neujahr habe ich gemeinsam mit meiner Schwester am zugefrorenen Gull Lake bei minus fünfunddreißig Grad verbracht. Ich glaube kälter wurde es nicht mehr. Der Schnee blieb bis Mitte April liegen und der Mississippi, der durch St. Cloud fließt, blieb bis dahin auch zugefroren. Bevor ich zu meiner Schwester nach Georgia geflogen bin, dachte ich noch, dass der Winter bis zu meiner Rückkehr nach Minnesota endlich vorbei sein würde.
Tatsächlich fiel in St. Cloud an Ostern nochmal Schnee (ca. 30cm) während ich im Golf von Mexiko stand und mir die Haut verbrannte. Ich glaube ich, habe in meinem Leben noch nie einen Sonnenbrand so gefeiert, dabei konnte ich gar nicht mehr auf dem Rücken liegen.
Solltest du mal in die Südstaaten kommen, dann fahr nach Fort Walton Beach, da kann man noch ein bisschen was über die Geschichte des Ortes herausfinden, was wie ich finde, leider sehr selten in den USA ist, weil Geschichtliches wenig aufgearbeitet wird. Fahr nach Andalusia, Alabama. Dort kann man sich viele alte Mansions von Plantagenbesitzern anschauen, aber leider auch allgemein sehen, was die Folgen von Sklaverei und Unterdrückung sind. In Atlanta, Georgia, sollte man auf jeden Fall in das Museum über Martin Luther King jr. und das Civil Rights Movement gehen. Was mich dort allerdings schockiert hat, war die Feststellung, dass dort eigentlich nur schwarze Besucher waren. Ich habe im letzten Jahr festgestellt, dass so viele Amerikaner so wenig über ihr eigenes Land und deren Vergangenheit wissen. Das ging mir am Ende so tierisch auf den Keks. Trotz dieser schönen Erlebnisse, wie nach San Francisco zu reisen und in Madison in ein tolles Theaterstück zu gehen, ging es mir am Schluss so auf die Nerven, dass man mit zu vielen Menschen nicht über Politik sprechen kann. Keiner konnte mir erklären, was mit den Native Americans in Minnesota passiert ist. Sie wussten einfach nichts darüber. Und trotzdem sind sie so stolz darauf Amerikaner zu sein. Wie kann man stolz auf ein Land sein, von dem man so wenig weiß?
Irgendwann habe ich mir schwer getan diese Mentalität zu verstehen, dass ein Volk einerseits so ignorant gegenüber anderen und gegenüber seiner eigenen Geschichte sein kann und zur gleichen Zeit sich für die einzig wahre Nation hält, die Europa vor dem zweiten Weltkrieg gerettet hat und auch immer noch denkt, was sie in Afghanistan machen wäre ein Träumchen. Ich könnte jetzt immer so weiter machen, aber ich wollte eigentlich keinen zynischen Brief schreiben.
Ich hatte ein echt gutes Jahr und ich habe in einem wunderbaren Staat gelebt. Das haben mir die letzten drei Wochen vor der Ausreise gezeigt. Gemeinsam mit meinen Eltern war ich im Norden von Minnesota unterwegs.
Minnesota ist flächentechnisch größer als Deutschland, es leben dort aber nur so viele Menschen, wie in Berlin. Die größte Stadt zählt dreihunderttausend Einwohner, besteht eigentlich aus zwei Städten und wird als Großstadt bezeichnet. Mein Gastbruder war entsetzt, als ich ihm sagt, dass Mineapolis/St. Paul eigentlich nicht so groß ist und immer noch überschaubar.
Mit meinen Eltern bin ich von See zu See gefahren, bin viel geschwommen und habe mir in der Regel diese wunderbaren Sonnenuntergänge von einem Paddelboot aus angeschaut. Ich habe mir den Lake Superior angeschaut, der so endlos ist, dass man meint am Meer zu stehen. Tatsächlich schippern auch Ozeantanker über diesen See, weil er so groß ist. Dort oben kann man stundenlang schnurgerade Straßen entlang fahren ohne, dass ein Haus in Sicht ist und vielleicht kommt mal ein Auto an einem vorbei. Dort mit dem Auto liegen zu bleiben wünsche ich wirklich keinem. Man kann dort gut zum Urlauben hinfahren, wenn man einfach abschalten möchte. Es gibt in Minnesota tatsächlich nicht so viel zu tun. Die meisten pflegen folgende Hobbies: Angeln, Jagen, Quilten.
Und trotzdem gab es für mich nach dem Jahr nichts schöneres, als genau das meinen Eltern zu zeigen. Während super viele der andern Teilnehmer einen Roadtrip an der Westküste gemacht haben und zum Abschluss noch ein paar Tage nach Boston geflogen sind (alle Insta-Stories sahen gleich aus) habe ich mir viele verschiedene Seen angeschaut, einen Leuchtturm (Split Rock Lighthouse) besucht und die Quelle vom Mississippi-River gefunden. Der Fluss fließt übrigens einfach aus einem See raus und dann auch erstmal nach Norden. Ich habe eine Woche lang das Sprichwort „Life is better at a lake“ gelebt und sehr genossen (übrigens sehr empfehlenswert!).
Gemeinsam mit einer Freundin bin ich das Jahr über am liebsten an einen See oder Fluss gefahren und habe vor mich hin gestarrt. Das klingt vielleicht komisch, aber es war schön einfach nur zusammen dazusitzen, dem Wasser zuzuhören und die Ruhe zu genießen.
Ich könnte vermutlich noch seitenweise so weiterschreiben und von Washington D.C., meinen tollen Theaterkursen, die ich im vergangenen Semester belegt hatte und meinem geliebten Auto berichten. Aber dann höre ich gar nicht mehr auf und brauche noch ein paar mehr Seiten. […]“
Von San Francisco habe ich schon letzten Herbst in meinem blog berichtet und kurz nach meinem Zwischenseminar in Washington D.C. beschrieb ich wie schön es war im Capitol zu sein und mir die Stadt anzuschauen.
Es gibt noch viel mehr über das ich berichten könnte, zum Beispiel von dem Urlaub bei meiner Schwester in Georgia, wo von ihr schon Bilder gesehen habt, oder den letzten drei Wochen meines Aufenthalts, in denen ich mit meinen Eltern den Norden von Minnesota erkundet habe.
Jetzt bin ich in Paderborn angekommen, habe mich eingerichtet und freue mich auf das was jetzt kommt, deswegen habe ich diesen Eintrag zu meinem letzten gemacht und mich entschieden, wenn ich schreibe über die Dinge zu schreiben, die mich gerade beschäftigen.
Durch das PPP habe ich viel erlebt und ich freue mich sehr über viele Erinnerungen, die ich im letzten Jahr gesammelt habe und auf die ich stolz bin.
Bye Bye,
Eure Clara