Apprenticeships around the World

Duluth

Ich weiß nicht mehr genau, wie lange es her ist, dass ich an der Côte d’Azur war, aber ich kann mich noch ganz genau daran erinnern wie wunderbar ich den Blick auf das klare Wasser fand, wie sehr ich es mochte an der Küste entlang zu fahren und das endlos weite Meer zu betrachten. Das war für mich immer ein sehr angenehmes Gefühl, auch daran zurück zu denken. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas hier in Minnesota finden würde. Ich habe das Land zunächst eher als einen rauen, pragmatischen Staat gesehen. Alles ist sehr platt, der Wind fegt unermüdlich durch und das Wetter wechselt mittlerweile von Tag zu Tag. Die Straßen sind Schnurgerade und wenn man doch mal abbiegen muss, dann im rechten Winkel.

Meine Gastmutter hatte mich und eine Freundin eingeladen für zwei Tage nach Duluth zu kommen und mit ihr eine Nacht dort zu bleiben. Also haben Claudia und ich uns am Freitagmorgen in mein Auto gesetzt und sind nach Norden gefahren. Etwa zweieinhalb Stunden fährt man durch unbewohntes Land, überquert Flüsse und Seen, die man irgendwann aufhört zu zählen, weil es zu viele sind. Manchmal steht ein einsamer Briefkasten an einer geschotterten Straße, aber man findet das Haus dazu nicht.
In den USA Auto zu fahren ist wirklich angenehm. Die Interstates, die man mit der deutschen Autobahn vergleichen kann sind bei weitem nicht so befahren, wie in Deutschland und zudem wird sich hier auch sehr gut an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten, die in MN bei etwa 110 km/h liegt. Was das fahren hier auch sehr besonders macht ist die Tatsache, dass man die Landschaft richtig genießen kann. Die Straße ist, anders als in Deutschland nicht von Lärmschutzwänden oder Leitplanken gesäumt. Ganz im Gegenteil, von Zeit zu Zeit wird sogar vor Wildwechsel gewarnt, was ich nur von deutschen Landstraßen kenne.

Bild: Am Strand

 

Je weiter wir nach Norden kamen, desto mehr fragte ich mich wo denn hier eine Stadt, geschweige denn der Lake Superior auftauchen soll. Nach einer längeren Weile mit Adam Levine und Dolly Parton im Ohr wurde unser Warten mit einem unbezahlbaren Ausblick belohnt. Und in diesem Moment wünsche ich mir, ich hätte ein Bild davon machen können: bevor man nach Duluth kommt schraubt sich die Straße den Berg hoch und man sieht eigentlich nicht genau, wo es hingeht und dann plötzlich am höchsten Punkt schieben sich die Hügel auseinander und geben einen endlos weiten Blick auf Duluth und den dahinter liegenden Lake Superior frei. In diesem Moment kann man nicht nur die ganze Stadt überblicken, die in einem Tal liegt, man sieht auch auf seiner rechten Seite nach Wisconsin, während man selber noch in Minnesota ist. Diese Aussicht hat uns endgültig die Sprache verschlagen. Duluth entpuppt sich danach allerdings erstmal als eine nicht wirklich schöne Stadt. Direkt am See gelegen hat sie sich zu einer Schifffahrts- und Industriestadt entwickelt. Hier teilt sich die Interstate auf und leitet einen entweder zum Südufer nach Wisconsin oder entlang des Nordufers nach Kanada weiter. Wir fuhren durch das entstehende Brücken-Wirr-Warr weiter in die Stadt hinein, bis zum Rosegarden von dem man einen herrlichen Blick auf den See hat. Von dort aus kann man wunderbar den See entlang zum Canal Park laufen. Der Canal Park teilt die Stadt von dem industriellen Part und den See vom Zufluss des St. Louis River. Es ist eine schöne Promenade, auf der Fahrrad gefahren wird, Pferdekutschen Touristen durch die Gegend fahren und sich ein Hotel an das nächste reiht. Dazwischen hat sich immer mal wieder ein Restaurant mit Seeblick einen Platz gesichert. Eigentlich hatte meine Gastmutter uns den Tipp gegeben bei „Grandma’s Saloon“ zu Mittag zu essen. Nachdem wir allerdings die Reklame für das Oktoberfest gesehen hatten und zudem die Musik mehr schrecklich war als Heimweh lindernd entschieden wir uns für die „Canal Park Brewing Company“ entschieden. Jedem den es nach Duluth verschlägt kann ich nur ans Herz legen dort ein Sandwich mit Fries zu essen. Erstens spricht der Seeblick sehr dafür auf der dortigen Terrasse Platz zu nehmen, aber auch das Essen ist wirklich gut.

Bild: Blick auf den Lake Superior vom Canal Park aus

Als Verdauungsspaziergang lohnt es sich den kleinen Kanal zu überqueren und der Straße zu folgen bis man einen Zugang zum Strand findet. Die Brücke ist auch einen Anblick wert, besonders, wenn sie hochfährt um ein Frachtschiff passieren zu lassen. Ich glaube es waren zwei oder drei Stunden, die Claudia und ich damit zugebracht haben fast schweigend nebeneinander zu sitzen, auf das Wasser zu schauen und dem Wellengang zuzuhören! Eines der schönsten Geräusche die man sich anhören kann. Abends haben wir uns noch den Enger Tower angeschaut und die 85 Stufen lohnen sich auf jeden Fall! Wir haben uns von dort oben den Sonnenuntergang angeschaut und wie nach und nach die Lichter der Stadt angehen, bis es ausschaut wie ein leicht orangener Sternenhimmel.

Für den nächsten Tag hatten wir geplant an der Küste entlang weiter zu fahren bis zum Split Rock Lighthouse und uns dann auf dem Rückweg die Gooseberry Falls anzuschauen. Und dass ist der Teil des Trips in dem ich für einen Moment dachte an der Côte d’Azur zu sein. Ron, der Vater meiner Gastmutter, hatte mir den Rat gegeben auf der Minnesotan Seite des Sees weiter zu fahren, weil er es dort schöner findet und damit hatte er einfach recht. Verlässt man Duluth kommt man zunächst auf einen kleineren Highway, der einen durch das Villenviertel der Stadt führt. Dort stehen die Häuser bis ans Wasser, wie am Wannsee, und sind mit Toren und langen Auffahrten von der Straße abgeschirmt. Zwischen den Häusern kann man immer mal ein kleines Stück vom Wasser erspähen. Und da war es wieder, das Gefühl, am Meer zu sein, die Faszination für diese Schönheit und Eleganz und die Überraschung hier so etwas zu sehen.

Bild: Split Rock Lighthouse

Das Split Rock Lighthouse liegt etwa fünfzig Meilen von Duluth entfernt, die Gooseberry Falls auf dem Weg dorthin. Die Straße führt einen direkt am See entlang immer weiter Richtung Kanada. Nachdem im November 1905 etwa dreißig Schiffe in einem Sturm verunglückt sind wurde beschlossen dort auf den Klippen einen Leuchtturm zu errichten. 1910 ging der Leuchtturm in Betrieb und konnte die folgenden knapp fünfzehn Jahre nur vom Wasser aus erreicht werden. Das Material für den Bau wurde ebenfalls über das Wasser geliefert und dann mit einem kleinen Transportzug den Hang hinaufgezogen. Die schienen sind zwar nicht mehr da, aber man kann den gleichen Weg hinunter zum Wasser nehmen. Der Strand dort ist im Grunde genommen ein langer, schwarzer Fels, der von den Wellen ganz rund und glatt gewaschen wurde.

In den zwanziger Jahren wurde dann eine Straße zu dem abgelegenen Leuchtturm gebaut, wodurch auch Touristen ihren Weg dorthin fanden, knapp 5.000 jedes Jahr bis in die dreißiger Jahre hinein. Und das zu Recht. Von dem Split Rock Lighthouse hat man einen endlos weiten Blick über den See. Ist das Wetter besonders klar kann man sogar das Ufer von Wisconsin sehen und obwohl einige Touristen jeden Tag dorthin begeben ist es dort eine wirklich schöne Atmosphäre. Man kann sich auch eines der ehemaligen Wärterhäuser anschauen. Der letzte Leuchtturmwärter leistete Dienst und lebte dort mit seiner Familie bis 1962 als der Leuchtturm geschlossen wurde. Mittlerweile ist das Split Rock Lighthouse eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten in der Umgebung von Duluth.

Bild: Die unteren Wasserfälle der Gooseberry Falls

Auf dem Rückweg hielten wir noch an den Gooseberry Falls. Das sind mehrere, in einem Nationalpark gelegene Wasserfälle die man auf einem Trail umrunden kann. Ich meine insgesamt sind es fünf Wasserfälle, wir haben uns drei davon angeschaut und wie jedes Mal an diesem Wochenende einfach mal nur am Wasser gesessen und die Geräusche genossen und Menschen beobachtet.

Jeder der in den Norden Amerikas reist sollte sich die Gegend um Duluth und den Lake Superior anschauen. Besonders im Herbst wenn sich die Blätter verfärben und alles Orange wird lohnt es sich auf den Weg in den Norden Minnesotas zu machen. Genau eine Woche nach dem Ausflug nach Duluth sind Claudia und ich wieder zusammen los. Diesmal an den Leech Lake. In dieser Woche hatte in Minnesota der Herbst Einzug erhalten und die Bäume leuchteten in Orange, Gelb und Rot. Auf dem Weg und am See kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus und unser Wortschatz beschränkte sich, wie auch schon auf der Fahrt nach Duluth, auf die Worte „Beautiful“ und „Wow“. Wir hatten an diesem Wochenende nicht wirklich viel Glück mit dem Wetter, aber ich denke, dass genau das, das bezaubernde war. Obwohl es den ganzen Sonntag regnete leuchtet alles so herrlich, als würde die Sonne scheinen. Anstatt sonntags direkt zurück nach St. Cloud zu fahren machten wir einen Schlenker nach Westen zum Lake Itasca und somit zu der Quelle der Mississippi. Der Mississippi entspringt aus einem See zweieinhalb Stunden nördlich von St. Cloud. In St. Cloud selber ist der Fluss unheimlich breit, unter anderem, weil er hier angestaut wird.

Bild: An der Quelle des Mississippi

Als ich zum ersten Mal bei GoogleMaps nach St. Cloud geschaut habe, war ich richtig aufgeregt, dass die Stadt am legendären Mississippi-River liegt. Als mir meine Gastmutter dann auch noch erzählte, dass die Quelle nicht weit entfernt liegt, stand der Plan fest diese Quelle zu sehen. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass der Fluss hier im Norden noch nicht legendär ist, sondern erst in den Südstaaten, vermutlich hat da Mark Twain nachgeholfen. Lake Itasca liegt in dem gleichnamigen Nationalpark den man mit dem Auto durchfahren kann. Es ist kein sonderlich großer Park aber die Straße führt einen einmal in Kreis, entlang verschiedener Seen und über den Mississippi. Eigentlich weiß ich, dass jeder Fluss mal klein angefangen hat und trotzdem war ich überrascht, dass auch der Mississippi als kleiner Bach loslegt, bevor er zu einem ausgewachsenen Gewässer wird. Nachdem ich jetzt schon die Quelle des Flusses gefunden habe möchte ich auch gerne sehen, wie er bei New Orleans in den Golf von Mexiko mündet. Ob ich das dieses Jahr noch schaffe, oder ob ich diesen Plan weiter vor mir herschiebe, werde ich noch sehen.

Jetzt bin ich erstmal glücklich, es geschafft zu haben euch von dem wunderbaren Herbst im Norden von Minnesota erzählt zu haben und freue mich schon darauf meine Eindrücke von North und South Dakota aufzuschreiben.

See you soon,
eure Clara

Veröffentlicht von

Clara Merkel

Im März 2016 bin ich durch Erasmus+ für vier Wochen nach Venedig gegangen um dort in dem Atelier von Stefano Nicolao ein Praktikum zu absolvieren. In der Zeit habe ich angefangen meine Erfahrungen und Erlebnisse hier festzuhalten und zu teilen. Nach meiner Gesellenprüfung zur Schneiderin Fachrichtung Damen, die ich 2017 erfolgreich abschloss zog es mich wieder ins Ausland. Diesmal ging ich mit dem Parlamentarischen Patenschafts-Programm für ein Jahr nach St. Cloud in Minnesota. Dort studierte ich für ein Semester und arbeitete ansonsten als Änderungsschneiderin. Darauf folgten zwei Jahre Gesellenzeit am Paderborner Theater, inklusive der Erfahrung in Heimarbeit zu arbeiten. Seit Sommer 2020 lebe ich in Hamburg und absolviere meine Weiterbildung zur Gewandmeisterin. Das erste Jahr habe ich mittlerweile abgeschlossen und hoffe Sie mit durch das zweite Jahr zu nehmen. Viel Spaß beim lesen. Ihre Clara Merkel

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