Apprenticeships around the World

Stehaufmännchen

„Ich kritisiere sehr, dass diese Flexibilität von jungen Menschen bedingungslos gefordert wurde und niemand hinterfragt hat, was das mit uns macht.“

Ich wurde neulich gefragt, ob ich mir Sorgen machen würde nach meiner Weiterbildung eine Stelle an einem Theater zu finden, jetzt wo sie doch eine schwere Zeit hinter sich haben und nicht jedes Theater das Geld hat. Ich hatte bis dahin nicht einmal darüber nachgedacht, ob die Pandemie und die damit fehlenden Einnahmen von Theatern zu einen Stellenabbau in den Werkstätten führen könnten. Und ich bin froh, dass mir dieser Gedanke nicht gekommen ist, ansonsten wären die letzten Monate noch schwerer durchzuhalten gewesen.

Blick ins Tutu – das erste Tutu was ich je gemacht habe, zusammen mit einer Mitschülerin

Seit August vergangenen Jahres mache ich meine vollschulische Weiterbildung zur Gewandmeisterin Fachrichtung Damen und auch wenn ich schon viele Jahre darüber nachgedacht habe, wie diese Weiterbildung sein würde auf die Idee, dass ich die Hälfte meines ersten Schuljahres per Onlineunterricht absolvieren würde, bin ich nicht gekommen.

Schon im ersten Lehrjahr meiner Ausbildung zur Damenmaßschneiderin am Staatstheater Kassel stand für mich fest, dass ich Gewandmeisterin werden möchte. Meine damalige Gewandmeisterin hat mich begeistert und ich habe mir zu der Zeit gedacht, wenn ich auch nur ansatzweise so werde wie sie, dann habe ich schon was erreicht. Der Beruf der Gewandmeisterin fand im magischen Raum der Anprobe statt, dort wurden die Grundsteine für ein Kostüm gelegt in Form von Schnittmustern und zugeschnittenen Stoffbahnen. Die Anprobe war der Raum in den man nicht so oft kam, schon gar nicht während der Anproben. Für mich war es immer etwas besonderes, dort schnell durch zu huschen um ein Nadelkissen rein zureichen und dabei einen ersten Blick auf das Kostüm an der Schauspielerin zu erhaschen.

Ich liebe mein Handwerk. Ich finde es immer noch wundervoll zu sehen, wie etwas entsteht und aus einer platten Fläche ein Kleidungsstück zu formen, dass sich dreidimensional um den Körper legt. Aber der Beruf der Gewandmeisterin bietet mir und den Dingen, die ich gerne tue, noch mehr Raum diese auszuleben. Mit dem konstruieren der Schnitte setze ich bei der Entstehung eines Kostüms noch einen Schritt weiter vorne an. Ich bin viel in Kontakt mit neuen Menschen, lerne Kostümbildner und Schauspieler kennen und bin so ein Scharnier zwischen der Welt des Handwerks und der Welt der Kunst. Nur für die Kunst zu arbeiten würde mir dann doch zu bunt werden.

Vorbereitungen zu weiteren Schnittkonstruktionen

Ich bin also im vergangenen Sommer, nach knapp fünf Monaten in Heimarbeit nach Hamburg gezogen und habe mich unglaublich gefreut, dass die Weiterbildung begann und die einzige Einschränkung Stoffmasken waren – Einschränkungen die gut auszuhalten waren.

Die letzten Wochen vor den Sommerferien durfte ich auch wieder ohne viel nachzudenken jeden Tag in die Schule kommen, zwar mit FFP-2 Maske im Gesicht und regelmäßigen Schnelltests, aber besser als noch einen weiteren Tag von meinem Zimmer aus zu arbeiten. Denn ab Dezember 2020 kam das Homeschooling durch das ich zunächst gut gekommen bin, weil ich mir viel Zeit zum planen und To-Do-Listen schreiben genommen habe. Weil ich mich dazu gezwungen habe mich nicht zu wundern, dass ich jetzt viel schneller mit den vorgenommenen Aufgaben fertig bin. Und vor allem weil ich irgendwann die Politik und die Entscheidungen von Bund und Ländern nicht mehr ernst genommen habe.

Um ganz ehrlich zu sein, haben mir die ersten Wochen sehr gut getan. Ich hatte Zeit für mich, konnte konzentriert arbeiten, weil es keine Ablenkung gab und wenn ich einen nicht so guten Tag hatte war ich immerhin in einer Umgebung, die sich gut anfühlte. Ich habe mein bestes gegeben meine Disziplin hochzuhalten um nicht jeden Tag um 12 Uhr auf der Couch zu landen und da haben sich Wecker und To-Do-Listen als wahre Wunder entpuppt. Ich habe weiterhin einen gleichmäßigen Tagesablauf eingehalten, zur selben Zeit aufstehen, Mittagessen und Feierabend machen. Irgendwann habe ich dann gemerkt, wie viel Kraft es kostet, das alleine durchzuhalten.

Innenverarbeitung Korsett

Wege fielen weg -alleine durch den fehlenden Schulweg gewann ich 90 Minuten pro Tag- , Wege wurden kürzer -mein Zimmer ist einfach kleiner als die gesamte Etage, die uns in der Schule zum arbeiten zur Verfügung steht- und durch das kontinuierliche arbeiten wurden die Dinge einfach schneller fertig. Es hat ein bisschen gebraucht, bis ich das verstanden hatte und nicht mehr glaubte faul zu sein, nur weil ich jetzt zu Hause und teilweise von der Couch aus arbeitete.

Was mich auf Dauer mürbe gemacht hat, war der Fakt, dass ich ab Januar mehr schwarze Felder bei Zoom, Moodle, Webex etc. als Menschen gesehen habe. Ich war bereit zu planen und umzuplanen, aber nur wenn ein klares Ende in Sicht wäre, was die Politik nicht zugelassen hat. Das Hoffen, dass es vielleicht in zwei Wochen, sieben oder zehn Tagen normal und in Präsenz weitergeht, und die Enttäuschung, dass es doch nicht klappt, hat mich erschöpft. Ich wurde in einem Interview zu diesem Thema befragt und die Journalistin hat meine Aussagen perfekt zusammen gefasst: „Ich kritisiere sehr, dass diese Flexibilität von jungen Menschen bedingungslos gefordert wurde und niemand hinterfragt hat, was das mit uns macht.“ Wenn ich jetzt zurück blicke, weiß ich was ich mir von der Politik gewünscht hätte, und zwar einen harten Lockdown, wie andere europäische Länder um uns herum. Nach Weihnachten das Land für drei Monate dicht machen, egal wie die Zahlen sind und dann zwei Wochen vor Ende auswerten wo wir stehen. Ich bilde mir ein, dass ich damit besser hätte umgehen können als mit diesen Häppchen an Optimismus die mir zugeworfen wurden.

Trotzdem kam ich an den Punkt, an dem ich an mein Höhlenleben gewöhnt war. Ich konnte damit umgehen, dass meine Schulsachen auch noch von meinem Bett zu sehen waren und dass ich eigentlich jeden Abend staubsaugen musste um Fäden und Flusen aufzusaugen um langsam wieder das Gefühl zu haben in meinem Zimmer und keiner Werkstatt zu sein. Langsam gewöhnte ich mich daran Privatleben und Schulleben, das im selben Raum stattfand auszubalancieren.

Ich habe sechs Jahre lang darauf hin gefiebert diese Weiterbildung anzufangen, wie viele meiner Mitschülerinnen auch. Und es stimmt mich schon traurig, dass ich mich in meinem ersten Jahr der Weiterbildung mehr darum gekümmert habe, unter welchen Bedingungen ich in ein Schulgebäude darf, oder meine Freunde sehen darf, oder Materialien kaufen kann, als einfach auszuprobieren, was mit dem Beruf der Gewandmeisterin alles möglich ist.

Es war zwar ein taffes Jahr, aber es gab schon auch eine Menge zu lachen

Aber nein, ich mache mir keine Sorgen eine Stelle am Theater zu bekommen. Ich meine, ich möchte für Theater arbeiten, die Stehaufmännchen Deutschlands. Die gesamte Kulturszene hat mich in dem letzten Jahr beeindruckt, in dem so ziemlich alles gefördert und unterstützt wurde (auch Pelzfarmen in Dänemark), nur sie nicht so wie sie es verdient hat. Dabei standen die Hygienekonzepte zuerst in Schauspiel- und Opernhäusern, sowie Konzertsälen fest. Theater sind wandelbar, mussten sich immer wieder neu erfinden und haben es auch so durch die Pandemie geschafft. Es wird sich eine Stelle für mich finden, vielleicht nächstes Jahr, vielleicht auch erst in zwei Jahren, an einem Schauspielhaus oder einem Mehrspartentheater, in Deutschland, der Schweiz oder Österreich. Da bin ich mir sicher.

Bis bald,
Ihre Clara

Erzähl doch mal…

Schon während meines Austauschjahres habe ich mir schwer getan eine Antwort zu finden, wenn jemand einfach nur „Erzähl doch mal“ zu mir sagte. Eigentlich wünsche ich mir, dass mich jemand mit Fragen bombardiert und ich genau weiß wovon ich doch mal erzählen soll. Das macht es für mich leichter: Ich weiß wo ich anfangen und wo ich aufhören muss.

Neulich habe ich nach über einem Jahr einen Freund wiedergetroffen. Er hatte wie immer wenig Zeit, weil er direkt weiter zum nächsten Job musste. Es blieb wenig Zeit zum Erzählen und zum Reden. Deswegen hatte ich beschlossen mir Zeit zu nehmen und ihm einen ordentlichen Brief zu schreiben und von einigem zu berichten. Und zwar nicht von den Dingen, die ich in meinem letzten Eintrag angesprochen habe, sondern von schönen Erlebnissen, wie meine Reisen nach San Francisco und nach Georgia.

Es ist mir wichtig, dass ich nach dem letzten Eintrag auch so etwas hier veröffentliche, weil mein Jahr in den USA auch viele gute Seiten hatte.

Ich habe in einem langen Brief einen Reisebericht an einen guten Freund geschrieben und darf mit seiner Zustimmung Auszüge daraus veröffentlichen:

„[…] Ich finde es bemerkenswert, dass du zwei Wochen Urlaub in NYC gemacht hast. Als ich dort letztes Jahr gelandet bin, fand ich es ehrlich gesagt ziemlich schrecklich dort. Mir war alles zu gerade. Die Straßen laufen ja schnurgerade, im rechten Winkel zu einander in alle Richtungen. Schaut man hoch geht es dort genauso gerade weiter. Und alles ist so grau. Ich war letztes Jahr zuerst mit ein paar Leuten aus meinem Programm unterwegs, die allerdings ihre Bucketlist am Start hatten, die es galt in vierundzwanzig Stunden abzuarbeiten. Ich war ziemlich froh, als ich in der Grand Central Station verloren ging. Das war für mich der beste Tag in dieser Stadt. Ich bin dann etwa dreißig Blocks bis zum Central Park gelaufen und habe einfach die Sonne genossen und ein Buch gelesen. Ich war tierisch froh, als es endlich von NYC weiter nach Minnesota ging, wo ich das letzte Jahr gelebt habe.

Trotzdem war ich dieses Jahr im Juli noch einmal in New York. Alle Teilnehmer haben sich dort getroffen und sind dann zusammen ausgereist. Ich habe mich schon ein paar Tage vor der gemeinsamen Rückreise dort mit einer Freundin getroffen. Wir haben uns ein Airbnb in Brooklyn gemietet, Wein getrunken und viel gute Musik gehört (hauptsächlich modern Country, was ich wirklich gerne höre, seitdem ich in den USA war). Nach einem Jahr in den USA, in dem ich mich daran gewöhnt habe, dass amerikanische Städte einfach quadratisch-praktisch-gut aufgebaut sind, kam ich auch in NYC zurecht. Es waren wirklich gute letzte Tage.

Der Strand in Destin, Florida liegt am Golf von Mexiko

Wenn du nochmal zum Urlaub machen in eine amerikanische Großstadt fliegen willst kann ich dir nur San Francisco, Washington D.C., Atlanta und (wenn es etwas kleiner sein darf) Madison in Wisconsin empfehlen. Alles Städte, in denen ich wirklich gerne war, vielleicht weil sie mir offener und europäischer vorkamen als Minnesota.

In San Francisco war ich vor knapp einem Jahr. Kurz nach meinem Geburtstag habe ich dort eine Bekannte besucht, die vor vielen Jahren in Göttingen studiert hat. Es war ein perfekter Trip. Ich habe jeden Morgen mit Blick auf Palmen und den Pazifik gefrühstückt und dann die Stadt mit jemandem erkundet, der seit einigen Jahren dort lebt. Das ist eigentlich das Beste, was einem passieren kann. Auf diese Art lernt man eine Stadt so viel besser und gar nicht nur touristisch kennen. Sie hatte den perfekten Mix aus ihren Lieblingsplätzen und Sehenswürdigkeiten gefunden und mich dann auch noch in die Oper eingeladen. „La Traviata“ kannte ich zwar schon, aber ich habe noch nie eine so schöne Inszenierung gesehen. Der gesamte Chor stand in historischen Kostümen auf der Bühne. Die San Francisco Opera hatte eine perfekte Welt des späten 19. Jahrhunderts auf die Bühne gebracht. Und obwohl diese Oper wirklich schon lange in dieser Fassung auf der Bühne steht hat man davon nichts gemerkt. Mir kam es vor als wäre es die Premiere und die Motivation noch sehr hoch!

San Francisco ist eine wunderschöne Stadt mit einer unfassbaren Vielfalt! Das habe ich in Minnesota das Jahr über vermisst. Minnesota ist ein sehr weißer, republikanisch geprägter Staat. Man sieht selten Afroamerikaner, Inder, Pakistani oder Mexikaner. Ich bin wirklich froh, dass ich am Anfang bei Events internationale Freunde gefunden habe. Ich hing am liebsten mit den pakistanischen Zwillingen ab, die ein wirklich leckeres Curry kochen und nebenbei eine angenehme Weltanschauung vertreten.

Im Museum über Martin Luther King jr. und das Civil Rights Movement

Als ich meine Schwester besucht habe, die jetzt in Kennesaw (Georgia) studiert, musste ich mich wirklich wieder daran gewöhnen andere Hautfarben zu sehen. Es ist verrückt, wie schnell man sich an ein bestimmtes Stadtbild gewöhnt. Zusammen mit meinen Schwestern habe ich einen kleinen, kurzen Roadtrip von Georgia durch Alabama nach Florida gemacht. Das war das Osterwochenende in diesem Jahr. Ich war so froh endlich wieder in einer Gegend zu sein in der es wärmer als 0°C war, in der kein Schnee lag und wo es grünes Gras gab.

Du musst wissen, dass ich den ersten Schnee letztes Jahr im Oktober hatte. Ab da an wurde es kontinuierlich kälter und ab November hatten wir permanent etwa dreißig Zentimeter Schnee. Neujahr habe ich gemeinsam mit meiner Schwester am zugefrorenen Gull Lake bei minus fünfunddreißig Grad verbracht. Ich glaube kälter wurde es nicht mehr. Der Schnee blieb bis Mitte April liegen und der Mississippi, der durch St. Cloud fließt, blieb bis dahin auch zugefroren. Bevor ich zu meiner Schwester nach Georgia geflogen bin, dachte ich noch, dass der Winter bis zu meiner Rückkehr nach Minnesota endlich vorbei sein würde.

Tatsächlich fiel in St. Cloud an Ostern nochmal Schnee (ca. 30cm) während ich im Golf von Mexiko stand und mir die Haut verbrannte. Ich glaube ich, habe in meinem Leben noch nie einen Sonnenbrand so gefeiert, dabei konnte ich gar nicht mehr auf dem Rücken liegen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich dieses Essen mal vermissen würde

Solltest du mal in die Südstaaten kommen, dann fahr nach Fort Walton Beach, da kann man noch ein bisschen was über die Geschichte des Ortes herausfinden, was wie ich finde, leider sehr selten in den USA ist, weil Geschichtliches wenig aufgearbeitet wird. Fahr nach Andalusia, Alabama. Dort kann man sich viele alte Mansions von Plantagenbesitzern anschauen, aber leider auch allgemein sehen, was die Folgen von Sklaverei und Unterdrückung sind. In Atlanta, Georgia, sollte man auf jeden Fall in das Museum über Martin Luther King jr. und das Civil Rights Movement gehen. Was mich dort allerdings schockiert hat, war die Feststellung, dass dort eigentlich nur schwarze Besucher waren. Ich habe im letzten Jahr festgestellt, dass so viele Amerikaner so wenig über ihr eigenes Land und deren Vergangenheit wissen. Das ging mir am Ende so tierisch auf den Keks. Trotz dieser schönen Erlebnisse, wie nach San Francisco zu reisen und in Madison in ein tolles Theaterstück zu gehen, ging es mir am Schluss so auf die Nerven, dass man mit zu vielen Menschen nicht über Politik sprechen kann. Keiner konnte mir erklären, was mit den Native Americans in Minnesota passiert ist. Sie wussten einfach nichts darüber. Und trotzdem sind sie so stolz darauf Amerikaner zu sein. Wie kann man stolz auf ein Land sein, von dem man so wenig weiß?

Irgendwann habe ich mir schwer getan diese Mentalität zu verstehen, dass ein Volk einerseits so ignorant gegenüber anderen und gegenüber seiner eigenen Geschichte sein kann und zur gleichen Zeit sich für die einzig wahre Nation hält, die Europa vor dem zweiten Weltkrieg gerettet hat und auch immer noch denkt, was sie in Afghanistan machen wäre ein Träumchen. Ich könnte jetzt immer so weiter machen, aber ich wollte eigentlich keinen zynischen Brief schreiben.

An der Quelle des Mississippi im Itasca State Park, der im Norden von Minnesota liegt

Ich hatte ein echt gutes Jahr und ich habe in einem wunderbaren Staat gelebt. Das haben mir die letzten drei Wochen vor der Ausreise gezeigt. Gemeinsam mit meinen Eltern war ich im Norden von Minnesota unterwegs.

Minnesota ist flächentechnisch größer als Deutschland, es leben dort aber nur so viele Menschen, wie in Berlin. Die größte Stadt zählt dreihunderttausend Einwohner, besteht eigentlich aus zwei Städten und wird als Großstadt bezeichnet. Mein Gastbruder war entsetzt, als ich ihm sagt, dass Mineapolis/St. Paul eigentlich nicht so groß ist und immer noch überschaubar.

Mit meinen Eltern bin ich von See zu See gefahren, bin viel geschwommen und habe mir in der Regel diese wunderbaren Sonnenuntergänge von einem Paddelboot aus angeschaut. Ich habe mir den Lake Superior angeschaut, der so endlos ist, dass man meint am Meer zu stehen. Tatsächlich schippern auch Ozeantanker über diesen See, weil er so groß ist. Dort oben kann man stundenlang schnurgerade Straßen entlang fahren ohne, dass ein Haus in Sicht ist und vielleicht kommt mal ein Auto an einem vorbei. Dort mit dem Auto liegen zu bleiben wünsche ich wirklich keinem. Man kann dort gut zum Urlauben hinfahren, wenn man einfach abschalten möchte. Es gibt in Minnesota tatsächlich nicht so viel zu tun. Die meisten pflegen folgende Hobbies: Angeln, Jagen, Quilten.

Und trotzdem gab es für mich nach dem Jahr nichts schöneres, als genau das meinen Eltern zu zeigen. Während super viele der andern Teilnehmer einen Roadtrip an der Westküste gemacht haben und zum Abschluss noch ein paar Tage nach Boston geflogen sind (alle Insta-Stories sahen gleich aus) habe ich mir viele verschiedene Seen angeschaut, einen Leuchtturm (Split Rock Lighthouse) besucht und die Quelle vom Mississippi-River gefunden. Der Fluss fließt übrigens einfach aus einem See raus und dann auch erstmal nach Norden. Ich habe eine Woche lang das Sprichwort „Life is better at a lake“ gelebt und sehr genossen (übrigens sehr empfehlenswert!).

Life IS better at a lake! Keine Diskussion…

Gemeinsam mit einer Freundin bin ich das Jahr über am liebsten an einen See oder Fluss gefahren und habe vor mich hin gestarrt. Das klingt vielleicht komisch, aber es war schön einfach nur zusammen dazusitzen, dem Wasser zuzuhören und die Ruhe zu genießen.

Ich könnte vermutlich noch seitenweise so weiterschreiben und von Washington D.C., meinen tollen Theaterkursen, die ich im vergangenen Semester belegt hatte und meinem geliebten Auto berichten. Aber dann höre ich gar nicht mehr auf und brauche noch ein paar mehr Seiten. […]“

Von San Francisco habe ich schon letzten Herbst in meinem blog berichtet und kurz nach meinem Zwischenseminar in Washington D.C. beschrieb ich wie schön es war im Capitol zu sein und mir die Stadt anzuschauen.

Es gibt noch viel mehr über das ich berichten könnte, zum Beispiel von dem Urlaub bei meiner Schwester in Georgia, wo von ihr schon Bilder gesehen habt, oder den letzten drei Wochen meines Aufenthalts, in denen ich mit meinen Eltern den Norden von Minnesota erkundet habe.

Jetzt bin ich in Paderborn angekommen, habe mich eingerichtet und freue mich auf das was jetzt kommt, deswegen habe ich diesen Eintrag zu meinem letzten gemacht und mich entschieden, wenn ich schreibe über die Dinge zu schreiben, die mich gerade beschäftigen.

Durch das PPP habe ich viel erlebt und ich freue mich sehr über viele Erinnerungen, die ich im letzten Jahr gesammelt habe und auf die ich stolz bin.

Bye Bye,

Eure Clara

Different Country, Different Me?

Ich bin immer gerne Zug gefahren. Ich weiß, dass Viele in Deutschland auf die deutsche Bahn schimpfen von wegen Pünktlichkeit. Ich mochte es schon immer, mich in den Zug an ein Fenster zu setzten und einfach die Landschaft zu genießen oder ein Buch zu lesen. In alten ICs werde ich immer ein wenig nostalgisch, schiebe ein Fenster runter und halte mein Gesicht in den Fahrtwind.

Das alles hatte ich ein Jahr lang nicht. Zum Reisen in den USA habe ich entweder mein Auto, oder den Flieger genommen, aber leider nie einen Zug. Das war etwas, was ich während meines Austauschjahres sehr vermisst habe.

Mit meinen Schhwestern in Fort Walton Beach, Florida

Ich habe lange nicht mehr berichtet, wie es mir ging und mittlerweile bin ich auch schon wieder seit knapp zwei Monaten zuhause in Deutschland. Es lag einerseits daran, dass es in den letzten vier Monaten nicht viel Neues gab und andererseits, weil meine Gedanken in diesen Monaten sehr durcheinander waren und ich dieses Chaos erst einmal beseitigen wollte.

Bis Anfang Mai war bei mir alles okay. Ich konnte gut damit umgehen, dass man in Minnesota Gewehre und Pistolen im Supermarkt direkt neben den Spielwaren finden kann. Ich konnte darüber schmunzeln, dass die Leute in meinem Umfeld sagten, dass Politik ein privates Thema ist (was ich persönlich ganz anders sehe) und deswegen nicht darüber sprechen wollen. Und ich konnte es aushalten, alles mit dem Auto zu machen und nicht Fahrrad zu fahren oder zu laufen.

Dann wurde mir plötzlich alles zu viel. Um genau zu sein, hatte ich schon im April einiges über. Nachdem ich meine Schwester über Ostern im Süden der USA besucht hatte, fiel es mir sehr schwer, wieder in das immer noch verschneite Minnesota zurück zu fliegen. Es störte mich, dass man sich nur beim Vornamen nennt, auch wenn man sich gerade erst kennen gelernt hatte. Diese dadurch entstandene Nähe erschien mir oberflächlich. Es nervte mich, dass Telefonate nur mit „Hello?“ beantwortet wurden und ich einfach nicht wusste, mit wem ich sprach, oder ob ich mich verwählt hatte.

Ich begann Dinge in Frage zu stellen und wollte wieder diskutieren, mich besonders über Politik mit den Amerikanern austauschen. Ich stieß dabei aber leider oft auf taube Ohren, weil die meisten die ich kennengelernt habe, Politik als etwas Privates ansehen, was man nicht einmal mit Freunden und Verwandten bespricht.

Nachdem ich im Mai dann den Film „X-Ray“ angeschaut hatte, der die Zeit einer jungen Soldatin in Guantanamo Bay beschreibt, fing ich an, Dokumentationen über Guantanamo Bay, die amerikanischen Waffengesetze und Donald Trump zu schauen. Doch anstatt, dass diese mir Klarheit verschafft hätten, verwirrten sie mich eigentlich noch mehr. Mir erschienen die USA plötzlich so unfrei, wobei es sich doch um das Land handelt, in das so viele gekommen sind, um endlich Freiheit zu erfahren. Ich hatte plötzlich den Eindruck, dass dieses Land mit seiner Mentalität, wie ich sie kennengelernt habe, sehr einschränkt und eben nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist, in dem man „vom Tellerwäscher zum Multimillionär“ werden kann. Ganz im Gegenteil. Es klammert sich fest an seinen alten Vorstellungen von Freiheit.

Ich denke, das Bild zeigt am besten, wie sich viele Menschen Amerika vorstellen: Florida, sonnig warm und keine Sorgen, weil man ja frei ist

Ein junger Amerikaner hat mir mal versucht zu erklären, warum die Amerikaner sich so weigern, beziehungsweise schwer tun, die Waffengesetze zu verschärfen. Die Erklärung war mehr eine Geschichtsstunde zurück in die Zeit der Siedler, des Goldrausches und der Kämpfe gegen Indianer. Die Pistolen und Gewehre seien das einzige Symbol der Freiheit, das aus dieser Zeit übrig geblieben sei, und deswegen sei es sehr wichtig, das Recht eine Waffe zu besitzen zu erhalten.

Ich habe mich lange mit meiner Mutter über dieses Thema unterhalten und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass in den USA, oder wenigstens in der Umgebung, in der ich gelebt habe, noch sehr an alten, vergangenen Werten festgehalten wird. Ich kann das nicht verstehen, wie ein Land auf einer Seite so fortschrittlich sein kann (z. Bsp. Im Silicon Valley) und zur gleichen Zeit aber so festgefahren.

Ich habe in dem vergangenen Jahr dadurch gelernt zu akzeptieren, dass mir vieles zweigeteilt erscheint. Für mich gab es oft nur schwarz oder weiß und selten Graustöne oder das ganze Farbspektrum. Angefangen bei der Politik: entweder Demokraten ODER Republikaner, aber eine Partei, die von beidem ein bisschen vertritt oder mal was ganz Neues an den Start bringen würde, gibt es nicht. Krankenversicherung oder halt keine, weil das Geld oft nicht reicht. Studium oder kein Studium, Ausbildungsmöglichkeiten wie bei uns gibt es ja nicht.

Das erste dreiviertel Jahr war einfach alles aufregend. Jeden Tag gab es etwas Neues zu entdecken und stressige Situationen konnte ich einfach ausblenden, weil mir Reisen nach San Francisco, Washington D.C. und Atlanta bevorstanden. Ich würde die ersten neun Monate als Honeymoon-Zeit beschreiben: Alles neu, alles ungewohnt und einfach anders. Mit der Praktikumsphase hat sich der Alltag eingeschlichen. Der Tagesablauf im Hotel war immer der gleiche und auch wenn bei „stitch it!“ jeden Tag neue Kunden in den Laden kamen, ähnelte jeder Tag dem anderen. Rückblickend haben sich noch nicht einmal die Gespräche verändert.

Mit meinen Eltern auf dem Campus der Saint Cloud State University, an der ich ein Semester studiert habe

Am vergangenen Wochenende hat mein Abschlussseminar in Köln stattgefunden und ich hatte endlich Zeit mich mit anderen Teilnehmern auszutauschen, Geschichten zu erzählen und nochmal über das ganze Jahr nachzudenken. Wir haben viel über unsere Erfahrungen mit den Amerikanern dort gesprochen, was unsere Schwierigkeiten im vergangenen Jahr waren, aber auch wie diese uns geprägt und weitergebracht haben.

Unter anderem haben wir über diese Dinge gesprochen, indem wir ein typisch amerikanisches Sprichwort ins Zentrum der Diskussion gestellt haben: Zum Beispiel: „Take it easy“, „Just do it!“ und „Life is what you make of it“. Natürlich stehen diese Sprichwörter für die Leichtigkeit und Risikobereitschaft der Amerikaner, schnell wurde uns allen aber klar, dass das eine sehr oberflächliche und in unseren Augen wenig reflektierte Lebensweise ist.

In dieser Gesprächsrunde sind wir zu dem Schluss gekommen, und das passt auch zu meinem Gefühl, trotz dieser „Freiheit“ so eingeengt zu sein. Denn unter dieser  Lockerheit liegt eine Strenge, die kein Fehlverhalten zulässt. Eine Teilnehmerin erzählte davon, dass an ihrem Arbeitsplatz Strafpunkte vergeben wurden, wenn man nur eine Minute zu spät zur Arbeit kam, oder wenn man krank war (trotz Krankschreibung!). Nach sieben angesammelten Punkten wird man gefeuert. Strenge wird auch bei dem Thema Sexualität gezeigt. Meine Gastfamilie hatte mir verboten, männliche Übernachtungsgäste in meinem Zimmer zu haben. Ein anderer Teilnehmer erzählte, dass er bei Damenbesuch seine Zimmertür offen lassen musste, weil sich seine Gastmutter sonst unwohl fühlte. Es gab noch einige weitere Geschichten, wie diese.

Nach dem letzten Wochenende habe ich einmal mehr festgestellt, wie wohl ich mich in Deutschland fühle und wie gut ich mit unseren Gepflogenheiten zurechtkomme. Ich genieße es im Moment, gesiezt zu werden und andere Menschen zu siezen. Ich mag es, wenn ich in einem Laden oder einer Bankfiliale mit meinem Nachnamen angesprochen werde. Da bleibt man bei etwas Offiziellem auf einer sachlichen Ebene, auf der trotzdem ein freundliches Verhältnis gepflegt wird. In den USA wurde mir oft eine Nähe vorgegaukelt, die es so eigentlich nicht gab.

Währen des Seminars haben wir eine Gedankenreise gemacht. Wir haben Momente auf unsere innere Leinwand projiziert, an die wir alle nicht mehr so oft gedacht haben: Von der Ausreise und den ersten Tagen in New York City, dem Ankommen im Platzierungsort, in der Gastfamilie und am College, Thanksgiving, Weihnachten und Silvester, der Jobsuche und dem Arbeitsbeginn bis hin zu unserem Abschlussseminar in New York City und der Ausreise. Ich habe viele schöne Bilder in meinem USA Film gehabt, die ich nicht vergessen werde. Ich habe meine Freunde gesehen, die mir bleiben werden, weil ich mit ihnen wunderbare Erinnerungen teile und vielleicht mit ihnen noch mehr davon machen werde.

Mit Regina (die ein Jahr lang in Appleton, Wisconsin war) nach einer „Chicago“-Vorstellung am Broadway, NYC

Zum Abschluss des Seminars gab es eine kleine Zeremonie, in der uns Urkunden überreicht wurden. Zu jedem Teilnehmer sagte Theo Fuß (Mitarbeiter der GIZ und zuständig für das PPP) etwas. Als ich aufgerufen wurde, sagte er, dass ich Minnesota lieben gelernt und daher lieber meinen Staat bereist habe, als woanders hinzufahren. Und es stimmt: Minnesota ist bezaubernd schön und ich kann jedem nur empfehlen dort Urlaub zu machen besonders „Up North“, also im Norden.

Ich habe einiges aus diesem Jahr mitgenommen: Freunde, schöne Landschaften, wertvolle Erfahrungen. Ich habe mich selbst noch besser kennengelernt und dadurch auch festgestellt, dass ich großes Glück habe, in Deutschland leben und arbeiten zu dürfen. Wir haben eine Vielfalt hier, die wir pflegen sollten, und gerade jetzt, wo die AFD groß wird, gegen Migranten gehetzt wird und sich die deutsche Bevölkerung zu spalten scheint, sollten wir uns erneut vor Augen führen, was dieses Land seit dem zweiten Weltkrieg alles geschafft hat, was es aufgearbeitet und aufgebaut hat. Wir müssen die Vorzüge, die Deutschland bietet (ich meine Dinge wie Krankenversicherungen, Arbeitsverträge, Arbeitslosengeld etc.) wieder schätzen lernen, anstatt sie wegen kleiner Schwäche tot zu diskutieren. Wir haben sie und die Amerikaner haben sie nicht! Wir haben dadurch, wie ich finde, ein bisschen mehr Lebensqualität, da unser Leben in dieser Hinsicht gesicherter ist als das Leben vieler US-Amerikaner.

In den letzten Wochen bin viel unterwegs gewesen und habe viel erledigt. In Zügen habe ich immer Zeit, nachzudenken und den Gedanken nachzuhängen. Ich kann abschalten und rekapitulieren. Ich bin froh wieder in Deutschland zu sein, bin mir aber sicher, dass ich aus dem Jahr in den USA viel mitgenommen habe. Es war nicht das Jahr meines Lebens und trotzdem war es ein Jahr, das mir viel mit auf den Lebensweg gegeben hat. Ein Jahr, von dem ich noch lange zehren werde:
Die Jobsuche in den USA hat mich vorbereitet auf die Jobsuche in Deutschland, weil es härter war als hier. Die Arbeit bei „stitch it!“ hat mir gezeigt, dass ich am Theater richtig aufgehoben bin. Die Mentalität, die ich dort kennengelernt habe, hat mich mehr für andere Kulturen geöffnet, besonders aber für meine eigene.

Minnesota, Minnesota (im Itasca State Park wo die Quelle des Mississippi liegt)

Für mich geht es jetzt in Paderborn weiter. Ich werde dort in der Schneiderei des Theaters arbeiten und wieder genau das tun, was ich in meiner Ausbildung gelernt und geliebt habe. Ich wer das letzte Jahr mitnehmen und meine Erfahrungen teilen!

See you soon
Eure Clara

 

Klugherz Höschen Mecklenburg

Es gibt die unterschiedlichsten Menschen und Namen dazu und seitdem ich hier in St. Cloud arbeite lerne ich viele davon für einen kurzen Moment kennen. Es ist immer angenehm mit Kunden ein wenig Smalltalk zu machen und weil die Region um St. Cloud etwas deutsch geprägt ist finde ich auch meistens schnell einen Aufhänger. Viele Deutsche Auswanderer sind unter anderem in Minnesota gestrandet, dadurch sehe ich während der Arbeit viele deutsche Nachnamen.

Der Laden in dem ich arbeite

Mir macht es immer Spaß die Kunden zu fragen, wie sie ihren Nachnamen aussprechen. In der Regel fangen die meisten an zu lächeln, nennen mir ihren Namen und fügen dann hinzu, dass es eigentlich ein deutscher Name sei, der an das englische angepasst wurde und dass die Oma ihn noch anders ausgesprochen hat.

Mit den Münzen der amerikanischen Währung habe ich nach wie vor noch meine Probleme. Hier gibt es die riesengroße fünfundzwanzig-Cent-Münze, eine zehn-Cent-Münze, die kleiner ist als die fünf-Cent-Münze und einen ein-Dollar-Schein. Ich entschuldigte mich also neulich bei einer Kundin, als ich etwas länger brauchte um das Wechselgeld herauszusuchen. Offenbar erinnerte sie sich, dass ich die deutsche Mitarbeiterin bin und erzählte mir, dass sie das mit den Münzen verstehe. Sie selbst war neulich erst in Italien und ganz aufgeschmissen mit unserem Euro, auch wenn diese Münzen mehr Sinn machen würden.

Diese Unterhaltung hatte eine andere Kundin mitbekommen und erzählte mir sogleich, dass ihre Mutter 1952 aus Deutschland in die USA gekommen ist. Ihr Vater kam ursprünglich aus der Ukraine, musste aber nach dem zweiten Weltkrieg nach Deutschland fliehen, wo er ihre Mutter kennenlernte. Wir kamen durch ihren Namen auf den ihres Bruders und auf meinen Namen zu sprechen, besonders auf meinen Nachnamen (der hier erschreckend wenigen etwas sagt): Merkel.

Als die Kundin das hörte erklärte sie mir, wie unverantwortlich es sei, seine Ländergrenzen nicht zu verteidigen, jeden einfach aufzunehmen und dann noch nicht einmal zu kontrollieren wer das eigentlich sei. Sie hätte ja bei den letzten Wahlen Trump gewählt, ich solle sie jetzt aber nicht falsch verstehen: Sie mag ihren mexikanischen Schwiegersohn sehr, aber der ist auch auf dem richtigen Weg in die Staaten gekommen und lebt nicht seine Kultur aus, sondern passt sich an.

Ich hätte gerne mit ihr diskutiert, weil es für mich nach einem Widerspruch in sich klang, aber ich habe hier in den USA schnell gelernt, dass man mit solchen Menschen nicht diskutiert und ich hatte genug Arbeit auf der Kleiderstange hängen, die nur darauf wartete erledigt zu werden. Für mich war es eine interessante Erfahrung, gerade weil ich immer noch überrascht bin, wenn Gespräche diese Wendung nehmen.

Auch mein Akzent lässt viele nachfragen, woher ich komme. Am Anfang habe ich auf diese Frage immer direkt mit: „Aus Deutschland!“ geantwortet. Oft wurde daraufhin mit einem überlegenen: „Achja, dass hätte ich gleich sagen können!!“ reagiert. (Warum wurde ich dann nochmal nach meiner Herkunft gefragt?) Mittlerweile antworte ich immer mit der Gegenfrage, was sie denn denken. Laut einiger Kunden komme ich aus England oder Australien. Eine Kundin, die mit ihrem erwachsenen Sohn bei uns im Laden war, tippte auf Israel. An die beiden erinnere ich mich noch gut, weil sich ein angenehmes Gespräch entwickelte. Ich erwähnte also, dass ich aus Deutschland komme, als ihr Sohn auch schon anfing mit mir auf Deutsch zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass er über ein Programm, während des Studiums ein Praktikum im deutschen Bundestag gemacht hat und im Rahmen dessen Deutsch gelernt hat. Sogar mein Programm, das PPP, war ihm ein Begriff. Besonders angenehm blieb mir in Erinnerung, dass er mich während des ganzen Gesprächs mit dem SIE ansprach und nicht nach meinem Vor- sondern Nachnamen fragte, den er dann auch verwendete um sich mit mir zu unterhalten. Etwas sehr außergewöhnliches hier in den USA.

Eine andere Begegnung habe ich auch noch sehr gut im Kopf, weil sie natürlich mit Deutschland, um genau zu sein mit dem Mauerfall zu tun hat. (Für mich als kleiner Geschichtsfan ein besonderer Moment, weil seit langem Geschichte wieder lebendig wurde.)

Der Kunde brachte seine Uniform zu uns um ein neues Abzeichen aufnähen zu lassen. Aus Neugierde fragte ich nach wozu er gehöre: Army, Marines oder Air Force und ein Gespräch entspann sich. Er erzählte mir, dass er Ender der 80er in Deutschland stationiert war. Genau an dem Tag an dem die Mauer fiel, war er allerdings mit ein paar anderen Amerikanern in Ostberlin. Als die Neuigkeiten bei ihnen ankamen, versuchten sie so schnell wie möglich zurück zum Checkpoint Charlie zu kommen. Sie waren nicht sicher, was genau los war und ob sie noch in den Westen gelassen würden, oder nicht.

Ich bekomme bei meiner Arbeit also die ein oder andere Geschichte zu hören, sowie witzige Versionen von den Namen KLUGHERZ, HÖSCHEN, ZWILLING und MECKLENBURG. Auch wenn es manchmal komisch ist, weil jemand einfach seine Meinung raushaut und los redet, weil er einfach mal wieder jemandem zum Reden braucht, in der Regel freue ich mich über die Offenheit zum Smalltalken, die mir hier entgegengebracht wird und die ich in Deutschland manchmal vermisst habe.
Und es macht das Arbeiten um so viel angenehmer.

See you soon,
Eure Clara

Verspätete Ostergrüße aus Florida

Washington D.C.

Letztes Jahr im Juni hatte ich die Chance das Abgeordneten-Büro von CDU’ler Thomas Viesehon zu besuchen. Dieser war, bis zu den vergangenen Bundestagswahlen, mein Pate des parlamentarischen Patenschafts Programm (PPP). Dieser Besuch im Bundestag hat mir gute Einblicke hinter die Kulissen unseres Parlaments und in den Alltag eines Politikers gegeben. Anfang März hatte ich erneut die Chance das Büro eines Politikers zu besuchen. Nur diesmal in Washington D.C. und von dem Republikaner Tom Emmer, der den Distrikt vertritt in dem ich gerade lebe: St. Cloud, MN.

Im deutschen Bundestag Juni 2017

Im Rahmen meines Austauschprogrammes fand Anfang des Monats das Zwischenseminar in D.C. statt. Nach genau sieben Monaten kamen wir Teilnehmer alle wieder zusammen. Einige der anderen Teilnehmer hatte sich in den letzten Monaten schon wiedergesehen, um zusammen zu reisen, um Silvester zu feiern oder einfach, weil sie in der Nähe von einander leben. Für mich war es hingegen das erste Mal seit dem Einführungsseminar in New York City, dass ich die meisten wiedergesehen habe. Genau drei andere Teilnehmer hatte ich während der letzten Monate zu Gesicht bekommen und ansonsten auch wenig Kontakt gehalten. Dieses Seminar hat mich aus meiner kleinen neuen Welt, die ich mir in St. Cloud eingerichtet habe, ein wenig herausgerissen. (Mittlerweile bin ich dort aber wieder sehr gut angekommen.)

In Tom Emmers Büro

Auf dem Programm standen einige Reden zum Beispiel über die Bedeutung des Ehrenamts hier in den USA, Meinungsfreiheit und wie die amerikanische Regierung aufgebaut ist, sowie ein Besuch im State Department und dem Capitol. Neben diesem offiziellen Programm stand aber auch eine Trolley Tour am ersten und ein Basketballspiel am dritten Abend an. Durch die Tour hatten wir die Möglichkeit viele der unzähligen Monumente und Denkmäler zu sehen (unter anderem auch das Weiße Haus). Zudem haben wir uns das Newseum angeschaut in dem man in das Amerika des letzten Jahrhunderts bis heute eintauchen kann und sich dementsprechend Nachrichtenbeiträge aus der Zeit aber auch Dinge wie Überreste der Twin Towers anschauen kann. Besonders stolz wurde uns von Mitarbeitern dort erklärt, dass sie auch einen Teil der originalen Berliner Mauer im Museum haben.

Washington D.C. ist eine sehr schöne Stadt und reich an Geschichte, also in vielerlei Hinsicht das Gegenteil der meisten amerikanischen Städte. Tatsächlich hat sie mich an einige deutsche Städte erinnert, wie Leipzig und Dresden. Die Stadt erschien mir sehr offen und weitläufig, was ich nach dem Einführungsseminar in New York City wirklich sehr genossen habe. Es gibt dort keine Türme, keine Skyscraper wie in New York. Es gibt wenig schattige Straßen und die meisten sind breit und gut überschaubar. Ich hatte zwischendurch immer mal wieder das Gefühl in einer europäischen Stadt unterwegs zu sein. Vielleicht kam dieses Gefühl auch dadurch zustande, dass von unserem Hostel aus das meiste zu Fuß zu erreichen war und wir ansonsten das U-Bahn-Netz genutzt haben, was in Washington D.C. gut ausgebaut ist. Ehrlich gesagt habe dort gemerkt, wie sehr ich es vermisse ohne Auto flexibel sein zu können.

Mit Elizabeth Latham (Bureau of Education and Cultural Affairs)

Ein besonderer Tag für mich, der an dem wir das State Department besucht haben. Das „Bureau of Education and Cultural Affairs“ des U.S. Department of State ist dafür verantwortlich, dass es unser Programm gibt. Sie sorgen dafür, dass der Congress darüber Bescheid weiß, die Gelder für die Stipendien genehmigt und natürlich vieles mehr. Diese Abteilung ist für insgesamt ca. 150 Austauschprogramme zwischen den USA und der Welt zuständig. Wir wurden eingeladen uns mit der ehemaligen Leiterin dieser Abteilung zu unterhalten, sowie mit einem Mitglied der deutschen Botschaft. Außerdem war das der Tag an dem wir unseren amerikanischen Patenabgeordnenten kennenlernen sollten. Es ist schon ein gutes Gefühl, wenn man mit einer Gruppe gut angezogener Leute in diesem großen Sitzungssaal ist und mit Fachleuten über Politik spricht. In diesen Momenten bin ich wirklich stolz, dass ich eine Teilnehmerin des 34. PPP bin. Noch mehr habe ich mich aber über die Auszeichnung als „Participant of the Month, Marth 2018“ gefreut. Jeden Monat wählt das State Department einen Teilnehmer aus all ihren Programmen aus. Für den Monat März wurde zum ersten Mal auch Cultural Vistas gebeten einen Teilnehmer meines Programmes auszuzeichnen und ihre Wahl fiel auf mich. Schon allein, dass meine Organisation der Meinung war, dass ich die Programmziele gut verfolge hat mich gefreut, dass aber auch die zuständige Abteilung des State Department dieser Meinung ist, gibt mir schon ein gutes Gefühl. (Den Artikel von State Department dazu gibt es hier: http://www.usagermanyscholarship.org/news-and-events/article/?article_id=10088)

Capitol Hill

Zum Abschluss besuchte ich dann das Büro von Tom Emmer. Leider habe ich ihn nicht persönlich kennen lernen können, da er spontan zu einer Abstimmung gerufen wurde. Trotzdem nahm sich einer seiner Mitarbeiter Zeit mich kennenzulernen und so unterhielten wir uns etwa zwanzig Minuten über das Wetter in Minnesota, Eishockey und die Unterschiede zwischen der deutschen und amerikanischen Regierung. Für mich persönlich war es ein wirklich gelungener Abschluss.

Obwohl es wirklich entspannend war einige Tage nicht zu arbeiten und keinen Schnee zu sehen, war ich wirklich glücklich wieder in Minnesota zu landen und mich auf den Weg nach St. Cloud zu machen, merke ich doch immer mehr, wie wohl ich mich hier fühle.

Das Zertifikat

Arbeit Arbeit Arbeit

Ich habe mir viel Zeit gelassen diesen neuen Eintrag zu schreiben, allerdings gezwungener Maßen. Seit meinem letzten Blogeintrag, den ich an einem sehr verschneiten See geschrieben habe, ist unheimlich viel passiert und es hat sich viel verändert. Nur das Wetter ist immer noch das gleiche: kalt und verschneit.

Mittlerweile ist bei mir die zweite Hälfte meines Austauschjahres angebrochen. Für mich bedeutet das, dass ich seit dem 8. Januar arbeite. Eine Auflage meines Programms ist es vierzig Stunden die Woche zu arbeiten und da es schwierig für mich war eine Vollzeitstelle zu finden arbeite ich in zwei Jobs. Die meisten Stunden absolviere ich in einem Hotel als „Housekeeping Assistant“. In diesem Feld werden immer Leute gesucht, weshalb es immerhin in diesem Betrieb leichter war eingestellt zu werden. Ich räume im Moment also die meiste Zeit fremde Zimmer auf, mache Betten und putze Badezimmer. So banal es klingt, es macht mir Spaß, denn man muss ordentlich und organisiert arbeiten um in einer halben Stunde ein Zimmer sozusagen auf null zu setzen, und es dann wieder für einen neuen Gast herzurichten. Das bedeutet alle alten Handtücher müssen raus und neue rein, das Bett muss neu bezogen werden, das Geschirr muss abgespült werden… Es ist eine körperlich anstrengende Arbeit in der man viel am laufen und sich bücken ist (an sehr anstrengenden Tage läuft man schon seine acht bis zehn Kilometer). Eigentlich lebe ich seit sechs Wochen mit permanenten Muskelkater, aber ich habe mich daran gewöhnt und es wird immer besser.

Das Hotel in dem ich arbeite

Meine zweite Stelle habe ich kurz vor der Deadline auch noch gefunden und es erscheint mir immer noch wie ein kleines Wunder, dass es geklappt hat. Tatsächlich arbeite ich als Schneiderin, was ich ja in Deutschland gelernt habe. Unsere Organisation hatte uns gebeten bis zum 15. Dezember des letzten Jahres einen sicheren Arbeitsplatz gefunden zu haben. Die Stelle im Hotel hatte ich schon, dort konnten mir aber nur maximal dreißig Stunden die Woche garantiert werden, weshalb ich etwas verzweifelt nach einer zweiten Stelle gesucht habe, in der ich Spätschichten arbeiten könnte. Ich habe im Dezember dann angefangen in die Läden der Mall reinzugehen und zu fragen ob sie gerade einstellen. Obwohl alle Läden mich gebeten haben so schnell wie möglich eine Bewerbung einzureichen, habe ich bis heute nichts von ihnen gehört.

Am 13. Dezember ist mir dann zu ersten Mal, seitdem ich in St. Cloud bin, „stitch it“ ins Auge gestochen: eine Änderungsschneiderei. Ein Resume hatte ich zu der Zeit JEDERzeit in meiner Tasche. Ohne einen echten Plan, lediglich mit dem ziel im Kopf dort eine Stelle zu bekommen, und wenn es nur zehn Stunden die Woche ist, bin ich in den Laden gegangen und habe glücklicherweise Barbara, meine jetzige Managerin, getroffen. Direkt in diesem Gespräch hat sie mir gesagt, dass sie mich einstellen möchte, sie werde gleich morgen mit ihrer Managerin sprechen. Als ich am nächsten Tag mit der offiziellen ausgefüllten Bewerbung zurückkam hatte sie schon alle Unterlagen auf dem Tisch um mich einzustellen. Als Barbaras Managerin hörte, dass sich eine junge deutsche Schneiderin vorgestellt hatte, sagte sie nur: „Stell sie ein Barb!“ tatsächlich habe ich meinen Nähtest erst abgelegt, nachdem ich eingestellt wurde und nach den ersten paar Wochen habe ich Barbara und meinem Kollegen Evan mein Portfolio gezeigt.

Mein neuer Arbeitsplatz

„stitch it“ ist eine kanadische Kette die auch einige Läden in Minnesota hat. Bekannt ist unser Laden dafür, dass wir Aufträge meistens sofort erledigen, dass heißt innerhalb von drei Stunden. Gekürzte Hosen werden von unseren Kunden in der Regel nach einem kurzen Spaziergang durch die Mall wieder abgeholt. Für mich bedeutet das, dass ich unheimlich viele neue Erfahrungen mache. Genau wie im Hotel muss ich zügig und konzentriert arbeiten, denn je schneller ich bin umso mehr Aufträge kann ich an einem Tag erledigen und aufnehmen. Ich brauchte ehrlich gesagt ein bisschen mich daran zu gewöhnen, hatte ich doch in meiner Ausbildung gelernt, dass Zeit in meinem Beruf wichtig ist. Jeder der näht weiß, wie wichtig es ist sich die Zeit zu nehmen Nähte gut auszubügeln und Säume ordentlich und gleichmäßig umzubügeln und mit Stecknadeln zu fixieren, bevor man etwas absteppt. Diese Zeit habe ich nicht immer, was sich aber überraschende weise nicht zu meinem Nachteil entpuppt. Dadurch lerne ich mich mehr auf die Materialien zu konzentrieren und schneller herauszufinden, wie ich mit verschiedenen Stoffen umgehen muss. Ich lerne an den richtigen Stellen an Handgriffen zu sparen. Das kommt auch dadurch, dass man in unserem Laden oft inmitten einer Sache unterbrochen wird, weil ein Kunde in den Laden kommt und bedient werden möchte. Der Kundenkontakt war sehr neu für mich, aber es macht mir unheimlich viel Spaß, besonders weil ich jetzt Anproben selber machen darf und meine Managerin dabei über die Schulter schauen darf. Außerdem bekommt man immer mal wieder schöne Geschichten zu hören, aber dazu ein anderes Mal mehr.

Nur eine kleine Auswahl unserer Garne

Die ersten zwei Arbeitswochen waren verhältnismäßig entspannend und dementsprechend eine gute Eingewöhnungsphase. Danach wurde es für mich unheimlich anstrengend, da ich zwei Wochen lang knapp sechzig Stunden die Woche gearbeitet hatte. In beiden Betrieben fehlten Mitarbeiter und die Arbeit musste von uns aufgefangen werden. So wurden aus meinen zehn Stunden bei „stitch it“ schnell fünfundzwanzig pro Woche und dazu noch die dreißig Stunden im Hotel. An den meisten tagen habe ich in beiden Jobs gearbeitet mit maximal einer Stunde Pause zwischendurch, was mich auf zehn bis elf Stunden pure Arbeitszeit am Tag brachte. In der Regel habe ich im Moment eine sechstage Woche und den einen freien Tag habe ich in den letzten Wochen in der High-School meines Gastbruders verbracht und die Deutschkurse besucht um meinen Community Service zu absolvieren. Dadurch hatte ich am vergangenen Samstag meinen ersten komplett freien Tag nach knapp drei Wochen.

Zu alledem habe ich mich auch dazu entschlossen einen Geschichtskurs mit dem Thema „Europa und der zweite Weltkrieg“ zu belegen. Aufgrund des hohen Arbeitspensums habe ich mich aber selber dazu entschieden „nur“ noch Gasthörerin zu sein und nicht ganz aktiv daran teilzunehmen. Für mich ist dieser Kurs aber einmal pro Woche Zeit zum Durchatmen und entspannen. Ich lerne viel Neues über die deutsche Geschichte und das von einer anderen Perspektive, was ich sehr genieße.

Aus meinem Portfolio

Es ist im Moment eine sehr anstrengende aber sehr erfahrungsreiche Zeit. Ich lerne unheimlich viel Neues über Amerika, Deutschland, aber auch über mich selber und daher schätze ich die Zeit sehr.
Dennoch freue ich mich auf die kommenden Wochen, denn da eine Kollegin von der Änderungsschneiderei gekündigt hat werde ich ihre Schichten arbeiten und nur noch ein oder zwei Tage im Hotel sein. Dadurch bekomme ich nach zwei Monaten wieder einen geregelten Wochenablauf und vor allen Dingen zwei aufeinanderfolgende freie Tage! Ich freue mich auch sehr darauf, da ich in der letzten Zeit das Gefühl hatte, dass meine Freunde und Gastfamilie zu kurz kommen und damit auch ich selber, dafür werde ich wieder etwas mehr Zeit haben, was mir unheimlich wichtig ist, weil die Zeit im Moment verfliegt und die kommenden fünf Monaten mir vermutlich vorkommen werden wie ein Wimpernschlag.

 Ich hoffe sehr, dass mein nächster Eintrag nicht so lange auf sich warten lässt, aber jetzt freue  ich mich erstmal auf ein Hockeyspiel der „Minnesota Wilds“ was ich mir mit meinem Bruder anschauen werde und auf das Zwischenseminar in Washington D.C. zudem ich mich am kommenden Wochenende auf den Weg mache.

See you soon,
eure Clara

Minnesotan Winter

Minnesota wird im Winter kalt. Für mich persönlich ungewohnt kalt, und der Winter hier ist lang. Den ersten Schnee gab es Ende Oktober zu Halloween. Seit Mitte November ist der Mississippi gefroren und auf den Seen werden Hütten zum Eisfischen aufgebaut.  Im Moment genieße ich den Blick auf den Gull Lake, der eine Stunde nördlich von St. Cloud liegt. Hier habe ich auch mein Silvester verbracht, laut Google war da Minnesota der kälteste Platz auf der Welt, kälter als Sibirien und der nördlichste Punkt Kanadas.

Viele Teilnehmer meines Programmes hat es über die Weihnachtsfeiertage und Neujahr nach Miami, Las Vegas, Mexiko und unteranderem auch nach Australien verschlagen. Kurz gesagt an einen wärmeren Ort als Minnesota, wo die Temperatur gerade wieder auf minus achtzehn Grad Celsius gestiegen ist.

Lake Hubert

Mir war es wichtig über die Feiertage zu Hause zu bleiben und die Tage mit meiner Gastfamilie zu verbringen, auch wenn es ganz anders sein würde, als ich es von zu Hause kenne. Aber unter anderem auch, weil ich das Wetter in Minnesota kennen lernen wollte.

Mitte Dezember habe ich das Semester an der St. Cloud State University beendet. Es war eine wirklich aufregende Zeit, in der ich viel neues Wissen und einige tolle Leute kennen gelernt habe. Ich habe unheimlich viel erlebt und gute Erfahrungen gemacht, unter anderem, wie man mit interkulturellen Differenzen umgeht.

Kurz vor Weihnachten musste ich mich dann von der ersten guten Freundin verabschieden, die ich hier getroffen habe. Für sie war das Auslandssemester vorüber und die Heimreise nach Deutschland stand an. Viel Zeit zum Trübsal blasen blieb mir allerdings nicht, stand ja der Weihnachtsmarathon vor der Tür, der sich als weniger anstrengend als erwartet entpuppte. Ich hatte Angst, dass ich viel Heimweh spüren würde und das Weihnachtsfest meiner Familie sehr vermissen würde. Allerdings hatte ich während der ganzen Zeit nicht das Gefühl, dass Weihnachten ist. Tatsächlich hat gerade das dazu geführt, dass ich besser mit dem Heimweh umgehen konnte. Weil es sich nicht angefühlt hat wie die Weihnachtszeit in Deutschland, oder wie Weihnachten allgemein, habe ich sie nicht vermisst.

Meine Schwester, die die Kälte hier gut überstanden hat

 Ich habe um mich zu Hause zu fühlen Plätzchen gebacken und mit Claudia kleine Lebkuchenhäuser dekoriert. Außerdem hatte ich zahlreiche Adventskalender, von meinen Eltern, meiner Schwester und sogar die Mutter meiner Gastmutter hatte mir einen besorgt.

Am 23. Dezember stand dann die große Weihnachtsfeier bei den Eltern meiner Gastmutter an. Ron und Jane sind selber Gasteltern von zwei internationalen Studentinnen, Yannis aus China und Leo aus Vietnam, zudem sind sie Schwiegereltern einer Irin, haben selber polnische und deutsche Wurzeln und zudem waren noch Freunde mit norwegischen Wurzeln zu Besuch, wodurch unser erstes Abendessen zusammen zu einer internationalen Runde wurde. Dafür wurde jede Menge Essen vorbereitet, dass typisch für die Länder waren. Aus Vietnam gab es Hühnchen mit scharfer Soße, polnische Würste mit Sauerkraut, irisches Sauerbrot und Kartoffelsuppe und ich stand zwei Tage in der Küche um deutsche Spätzle und Wurstsalatvorzubereiten. Wir haben an diesem Abend gewichtelt, Karten gespielt, ein Footballspiel geguckt… kurz gesagt einfach Zeit zusammen verbracht. Es war im Grunde genommen das Gegenteil von dem, was ich am 24. Dezember erlebt habe.

Den Baum habe ich Ende November schon geschmückt

In meiner Familie wird an diesem Tag viel Zeit miteinander verbracht. Wir schmücken an dem Tag zusammen den Christbaum, gehen zusammen in die Kirche, bereiten zusammen das Essen vor… es gibt eigentlich keine Zeit am Tag an der man sich selber beschäftigen muss. In meiner Gastfamilie hat sich hingegen jeder selbst beschäftigt, bis wir um vier Uhr zusammen in die Kirche gegangen sind. Ich habe den Tag hier eher weniger als einen besinnlichen und geselligen Tag erlebt. Natürlich war er irgendwie schön, aber nicht so wie ich gerne Weihnachten verbringen möchte. Für mich hat es sich angefühlt, wie ein ganz normaler freier Tag, an dem seltsamer Weise Geschenke ausgepackt wurden.

Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt, dass mir die Nase zufriert, wenn ich vor die Tür gehe, dass ich mehrere Versuche brauche, bis morgens mein Wagen anspringt, weil es über Nacht so kalt war. Ich habe mich auch an die Sprache gewöhnt, und daran, dass hier alles informeller ist als in Deutschland. Heimweh werde ich weiterhin haben, nur sehe ich es nicht mehr als etwas Schlechtes, das man irgendwie überwinden muss, sondern es zeigt mir, dass ich mich in Deutschland immer wohl gefühlt habe und dass das Leben dort vielleicht einfach besser zu mir passt als ich erwartet habe. 

Der Upper Gull Lake

Silvester habe ich dann zusammen mit meiner Schwester am Gull Lake verbracht an dem ich gerade wieder sitze. Meine Gastmutter hatte uns in das Haus eingeladen, welches sie für eine Woche angemietet hat. Die Seen in Minnesota sind ruhige Orte an denen man sich gut entspannen kann. Es kommt nicht selten vor, dass man eine Rehfamilie den gefrorenen See kreuzen sieht und ich finde es faszinierend, dass man hier auf einem See spazieren gehen kann. Das schöne an dem kalten Winter in Minnesota ist, dass man selten graue Tage erlebt. Oft habe ich hier strahlend blauen Himmel mit einer wunderbaren Sonne, die wenigstens etwas wärmt.

Auch an Silvester habe ich meine Gastfamilie als eine Familie erlebt, die wenig zusammen unternimmt. Meine Gastmutter hielt auch an diesem Tag streng ihre Routine ein und war um neun im Bett, so wie übrigens auch an Weihnachten, und mein Gastbruder hielt bis um elf Uhr durch, da wurde in New York Silvester gefeiert. Meine Schwester und ich blieben wach bis Mitternacht, wir tranken unseren Sekt, wie jedes Silvester, riefen unsere Eltern an, wie jedes Jahr und genossen das Feuerwerk, das von dem Restaurant im Resort veranstaltet wurde.

Merry Christmas and a happy new year aus dem kalten Minnesota

Ich hatte Feiertage, die anders waren und trotzdem schön und jetzt genieße ich die letzten freien Tage bevor der Arbeitsalltag wieder losgeht. Aber dazu in einem anderen Beitrag mehr.

See you soon,
eure Clara
 

Gastfamilien…

In einer Familie zu leben ist nicht immer einfach. Es bedeutet verschiedene Menschen zu koordinieren, auf Bedürfnisse der anderen einzugehen und dabei sich selber nicht zu vergessen. Ich habe die letzten vier Jahre alleine gelebt und hauptsächlich die Vorteile davon kennen und schätzten gelernt. Schon während der letzten Jahre war es manchmal eine Herausforderung wieder zu Hause bei meinen Eltern und Schwestern zu sein. Aber ich wusste, dass streiten auch okay ist, weil sie ja meine Familie sind und wir immer für einander da sein würden.

Jetzt ist es ein wenig komplizierter. Das Leben in einer Gastfamilie bringt das familiäre Zusammenleben auf das nächste Level. Von den anderen Teilnehmern meines Programms bekomme ich verschiedenes mit! Leider hat schon eine Teilnehmerin auf Grund ihrer Gastfamilie das Auslandsjahr abgebrochen. Andere haben sich in ihre neue Familie so sehr verliebt, dass sie nicht mehr aufhören können das allen auf Facebook mitzuteilen. Wenn ich das sehe frage ich mich wo ich einzuordnen bin. Ich glaube irgendwo dazwischen.

Ich bin wirklich sehr glücklich in meiner Gastfamilie gelandet zu sein. Meine Gasteltern haben beide im Ausland studiert. Die Eltern meiner Gastmutter, die ich kennenlernen durfte, haben einige Zeit in Deutschland gelebt, weil Ron dort stationiert war. Außerdem haben sie schon als meine Gastmutter noch klein war, immer wieder Gaststudenten aufgenommen. Zudem arbeitet meine Gastmutter an einem College viel mit internationalen Studenten zusammen. Meine Gastfamilie selber hat viele Jahre Gaststudenten aufgenommen. Allerdings bin ich die erste die mit einem Austasuschprogramm in den USA ist und nicht, weil ich hier meinen Abschluss machen möchte. Und ich bin auch noch das erste Mädchen.

Bild: mein neues Wohnzimmer

In der eigenen Familie, denke ich, lernt man die Bedürfnisse der Eltern und Geschwister von klein auf kennen, man lernt damit umzugehen und mache Dinge manchmal einfach nur auszuhalten. Vor allem, denke ich aber, dass man lernt Kompromisse einzugehen und zwar zusammen!

Ich habe mich hier langsam echt gut eingelebt. Ich fühle mich in St. Cloud sehr wohl, es ist eine herrliche, überschaubare Stadt. Zu studieren macht mehr Spaß, als erwartet und ich finde es schade, dass das Semester nächste Woche schon vorüber ist. Und ich dachte, dass ich auch langsam in meiner Gastfamilie angekommen sei, bis eine Woche vor Thanksgiving. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass einfach alles auf einmal zusammenkommt. Während man versucht sich in der Stadt und auf dem Campus einzuleben und genug Menschen kennenzulernen um nicht alleine dazustehen lernt man die Familie und ihre Regeln kennen. Ich habe versucht mich einzubringen ohne dabei in Fettnäpfchen zu treten und mich zu Hause zu fühlen. Ich lebe in eine Gastfamilie in der jeder sehr selbstständig ist. Wir haben bisher erst einmal zusammen gegessen und das war an Thanksgiving. Ansonsten kümmert sich jeder selber um sein Essen. Meine Gasteltern sind beide Vollzeit Berufstätig. Der ältere Gastbruder studiert in Minneapolis und der kleine ist so beschäftigt mit der Highschool und seinem Sport, dass man sich manchmal gar nicht zu Gesicht bekommt. Weil es mir auch wichtig war in der Uni Anschluss zu finden ist mein Rhythmus ein wenig anders als der meiner Gastfamilie, was die erste Zeit wohl auch okay war. Und ich hatte auch das Gefühl, dass wir gut miteinander auskommen bis mir meine Gastmutter gesagt hat, womit sie ein Problem hat. Ich möchte mich mit meiner Gastmutter nicht streiten, ich möchte das Jahr über gerne dortbleiben. Zudem habe ich meine Gastmutter als eine Frau kennen gelernt, der man eher nicht widerspricht, sondern Besserung gelobt. Ich möchte hier auf keinen Fall jemanden schlecht reden ich möchte mehr zeigen, dass es nicht immer einfach ist mit fremden Menschen zusammen zu leben, besonders wenn es auch noch in einem anderen Land ist.

Bild: Mit meinen Gastbrüdern und einem Freund an Thanksgiving

Ich habe mich nie als eine sehr direkte Person wahrgenommen, bis ich in den USA eines Besseren belehrt wurde. Und ich habe noch nie so indirekte Menschen getroffen, wie die Amerikaner, besonders aber meine Gastmutter. Es hat mich vier Monate gebraucht herauszufinden, dass sie viele Dinge durch die Blume sagt. Ich habe hier mit interkulturellen Differenzen zu kämpfen. Meine Lösung für das Problem ist mir Zeit zu geben, aber nicht unbedingt jeder um einen herum gibt mir die Zeit.

Thanksgiving hat einiges wieder eingerenkt. Ich habe es zusammen mit meiner Gastfamilie und einigen anderen verbracht. Dieses Jahr hat das Fest bei uns stattgefunden und das heißt, dass am letzten Donnerstag fünfundzwanzig Freunde und Verwandte meiner Gastfamilie zum Essen und zusammen sein da waren. Und wie der Name des Feiertages schon sagt ist es die Zeit gewesen um Danke zu sagen. Was ich gemeinsam mit einer Freundin gemacht habe. Claudia war ebenfalls eingeladen, den Tag mit uns zu verbringen, worüber wir uns beide sehr gefreut haben und deswegen ein Geschenk besorgt haben. Ich lerne hier mich zu bedanken, zu zeigen, dass ich aufmerksam bin und mitbekomme, was in der Familie abgeht. Das ist jetzt wieder leichter, weil wir alle ein erholsames Wochenende hinter uns gebracht haben und ich wieder mehr Zeit habe und mehr zu Hause bin. Außerdem habe ich verstanden, dass die Frage: „How are you?“ Eine ausführlichere Antwort braucht, als nur „I am fine“. Im Grunde genommen steckt da die Frage nach einem Tagesbericht drin. Das ist für mich auch indirekt. Ich bin es gewöhnt Fragen gestellt zu bekommen, wenn jemand interessiert ist. In den USA ist das offener. Es wird einfach erzählt.

Bild: Claudia und Ich beim Christbaum schmücken.

Ich habe festgestellt, dass es eine gute Erfahrung ist, die ich hier mache, dass ich unglaublich viel lerne, insbesondere über mich und andere Menschen. Aber auch, dass es wichtig ist offen zu sein gegenüber anderen Kulturen. Was ich aber auch weiß ist, dass die amerikanische Kultur nicht meine ist, dass ich kommendes Jahr wieder nach Hause reisen werde und dass Deutschland eigentlich voll okay ist.

 See you soon,
eure Clara

Costume Construction

Mein Kurs „Costume Construction“ ist wohl der, der am ehesten das ist, was ich in Deutschland gemacht habe. Es geht darum nähen zu lernen, Entwürfe zu machen und an Kostümen zu arbeiten, die später auf der Bühne stehen. Nähen habe ich durch meine Mutter gelernt, seitdem ich elf bin sitze ich regelmäßig an der Nähmaschine. Ich wurde in Bewerbungsgesprächen oft gefragt woher mein Interesse am Nähen kommt und die Antwort war immer dieselbe: durch meine Mutter und meine Großeltern. Meine Großmutter mütterlicherseits hat selber eine Schneiderausbildung absolviert und dann für meine Mutter und ihre Geschwister viel selber genäht. Meine Großeltern väterlicherseits waren Feintäschner, sie haben Portemonnaies und andere feine Lederwaren gefertigt. Außerdem war es mir wichtig zu sehen, was ich mache und lerne. Besonders jetzt rückblickend denke ich, dass es mir in der Schule immer schwer viel zu verstehen, was der Lehrer erwartete, wenn ich etwas analysieren sollte, zum Beispiel im Deutschunterricht. Zudem erschien mir die Benotung immer etwas willkürlich, ich denke, weil es mir schwer viel zu verstehen, wieso meine Interpretation richtig oder falsch war.

Bild: In der Herrengarderobe des Colleges

 Beim Nähen sehe ich die Fehler selber. Allgemein genieße ich es jedes Mal wieder zu sehen, wie aus einer Idee ein Kleidungsstück wird. Mich beeindruckt es, dass man mit einem platten, eindimensionalen Schnittmuster anfängt, und mit vielen kleinen Schritten, die für mich sehr logisch nachzuvollziehen sind ein Kleid, Hosenanzug oder auch einfach nur ein T-Shirt erstellt. Ich habe festgestellt, dass ich Dinge besser begreifen und lernen kann, wenn ich sie in die Hand nehmen und anschauen kann. Das bedeutet nicht, dass ich nicht abstrakt denken kann und nicht mit Papier und Stift arbeiten kann. Ganz im Gegenteil. Jedes Kleidungsstück beginnt mit dem konstruieren des Schnittmusters und auch um Probleme während des Nähens zu lösen wird Kreativität und abstraktes Denken erfordert, weil nicht jedes Material genau das macht, was man von ihm erwartet.

 Besonders aber bei der Schnitterstellung braucht man logisches Denkvermögen. Eine gute Schnittdirectrice hat die Fähigkeit schon bei der Schnitterstellung zu erkennen wie sich das was sie zeichnet auf das Kleidungsstück auswirkt. Sie weiß wie sie Abnäher und Falten setzten muss um einen bestimmten Fall des Stoffes zu erreichen. Meistens kommt diese Fähigkeit durch sehr viel Übung und Erfahrung, durch Fehler, die man schon gemacht hat, aber auch daher, dass man das was man in 2-D zeichnet in 3-D vor dem inneren Auge sieht.

Bild: beim fixieren der gefältelten Krause

 In meinem Kurs steht das nähen im Vordergrund. Ich bin in einer Klasse mit Nähanfängern und Studenten, die noch nie genäht haben. Aber um einen Abschluss in dem Fach Theater zu erwerben muss man während seines Studiums diesen Kurs belegen. Aber es lohnt sich. Der Kurs findet immer im Herbst-Semester statt wodurch jeder sein eigenes Halloweenkostüm nähen kann. Ich habe diese Aufgabe genutzt um zwei Dinge zu machen, die ich immer schon machen wollte: einen Body, oder Badeanzug und eine Achterkrause. Eine Achterkrause wurde besonders im späten sechzehnten Jahrhundert in Spanien getragen. Sie wird auch Mühlsteinkragen genannt, weil sie kreisrund ist und schwer auf den Schultern liegt. Von Zeit zu Zeit werden Krägen, wie diese auch im Theater gefertigt, aber leider nicht in der Zeit in der ich dort meine Ausbildung gemacht habe. Dieses Projekt braucht Geduld, weil man viel mit Handstichen und so immer mit der gleichen Bewegung.

 Ich wollte nicht, dass die Krause auf meinen Schultern, sondern auf meiner Taille sitzt, als eine Art Rock. Das hatte wiederum zur Folge, dass noch mehr Material erforderlich war. Es gibt verschiedene Wege eine Krause zu fertigen, ich habe mich für die unkomplizierte Variante entschieden einen langen, geraden Stoffstreifen in Falten zu legen und dann an den äußeren Kanten zu fixieren. Aufgrund der Fixierung hat die Krause ihren Namen: man zieht die Stoffschichten zusammen, dass Waben entstehen, die auch ausschauen, wie Achten. Im Enddefekt hatte ich einen zwölf Meter langen und fünfundzwanzig Centimeter breiten Streifen, den ich Säumen und in Falten legen musste. Damit die Falten gleichmäßig werden macht es bei so etwas Sinn Fäden einzuziehen mit denen man den Stoffstreifen ganz einfach wie eine Ziehharmonika zusammen schieben kann. Danach folgte der Teil, der am meisten Zeit beanspruchte: das Fixieren. Wie vorher schon beschrieben zieht man die Stofflagen aus den Falten zusammen und fixiert sie mit kleinen Knötchen, wobei man darauf achtet die Falten in sich nicht zu verschieben. Es ist aufwendig, aber es lohnt sich auf vielen verschiedenen Ebenen. Einerseits habe ich wieder einmal begriffen, wie schnell man die Menge an Arbeit unterschätzen kann. Mir war vorab bewusst, dass es viel Zeit brauchen würde diese Krause herzustellen, aber am Ende war ich doch sehr überrascht, wie viel es war. Andererseits war es auch wieder eine Übung sauber und ordentlich zu arbeiten. Besonders, wenn man einfach einen geraden streifen hat ist das wichtig, aber auch bei dem Body, den ich genäht habe, war das sehr wichtig. Für diesen hatte ich mir einen Stretch-Samt ausgesucht, der schwer war unter der Maschine zu führen.

Bild: die fertige Krause

Aber genau das hat mein Kurs „Costume Construction“ als Ziel. Dass die Studenten lernen ordentlich zu arbeiten, sich ihre Zeit gut einzuteilen und kreative Lösungsansätze zu finden. Dieser Arbeit mit Respekt zu begegnen ist meiner Lehrerin Carol sehr wichtig. Viele in der Theaterabteilung haben vor später als Schauspieler auf der Bühne zu stehen. Für Carol gibt es wenig, dass schlimmer ist als Schauspieler, die die Kostüme als selbstverständlich nehmen und selber nicht wissen, wie viel Arbeit dahintersteckt.

In den letzten vier Monaten habe ich in St. Cloud die Universität besucht und einiges über Bildungssysteme gelernt. Am meisten habe ich aber verstanden, wie gut unser deutsches Bildungssystem ist – trotz kleiner Schwächen.

In Deutschland war ich Schülerin an einem Gymnasium und habe mich nach meinem bestandenen Abitur für eine Ausbildung zur Damenmaßschneiderin entschieden. Ich hatte gemerkt, dass ich besser lernen kann, wenn ich praktisch arbeite. Dadurch begreife ich besser, was ich tun muss, und ich kann meine Fehler leichter selber erkennen. Mein Studium in St. Cloud zeigt mir jetzt, dass ich auch theoretisch arbeiten kann und das gerne tue.

Wir haben in Deutschland ein sehr umfangreiches und breit gefächertes Bildungssystem, das allen Lernertypen die Möglichkeit gibt nach dem Schulabschluss in eine Ausbildung oder ein Studium zu starten.

Bild: Ich in meinem Halloween-Kostüm

Es gibt Berufe, wie zum Beispiel das Schneiderhandwerk, die nur durch eine Ausbildung zu erlernen sind, weil von Anfang an Praxiserfahrung gesammelt werden muss. Ich bin überzeugt, dass in vielen Studiengängen zu wenig praxisorientiert gearbeitet wird und dass in manchen Ausbildungsbetrieben dafür die intellektuelle Herausforderung fehlt. Das kommt meiner Meinung nach daher, dass in unserer Gesellschaft nach wie vor akademische Berufe ein höheres Prestige haben als Berufe im handwerklichen Bereich. Man braucht einen höheren Abschluss um studieren zu dürfen, was leider dazu führt, dass bei Auszubildenden geschlussfolgert wird, sie hätten einen „schlechteren“ Abschluss und seien somit weniger klug. Damit wurde ich als Abiturientin das eine oder andere Mal konfrontiert. Leider auch mit der Meinung, dass ich mein Abitur vergeudet hätte.

Leider gibt es in den USA eine Vielfalt an Ausbildungsmöglichkeiten, wie bei uns, nicht. Wer hier Kostümschneiderin werden möchte, so wie ich, kann nur zwischen keiner und einer akademischen Ausbildung wählen. Das wurde mir durch viele Gespräche mit meiner Lehrerin im „Theater Department“ bewusst. Um in den USA einen Beruf am Theater ergreifen zu können, zum Beispiel als Kostümschneiderin, müsste ich zunächst und ganz generell als Hauptfach „Theater“ wählen und Fächer in diesem Bereich belegen. Das heißt, ich müsste eine Vielfalt an Kursen belegen, wie „Einführung ins Theater“, in Schauspiel und Regie, in Nähpraxis und sehr reduziert in Kostümdesign. Im Laufe der drei Studienjahre würde ich sie alle durchlaufen, vieles kennen lernen, aber nichts davon wirklich intensiv.

Nach diesem Universitäts-Abschluss wäre ich Generalistin. Erst jetzt könnte ich mich spezialisieren, indem ich mich in Theaterwerkstätten bewerbe und versuche eine Stelle als Näherin zu ergattern. Was mir in diesem Ausbildungsweg fehlt, ist der Erwerb breiter schneidertechnischer Kenntnisse und Fähigkeiten, welche ich im Betrieb und in der Berufsschule in Deutschland eben gelernt habe.

Mir wurde von der Politik und meinen Lehrern schon früh vermittelt, dass nur eine akademische Ausbildung wirklich Zukunft hat. Meines Wissens gehen in Deutschland zurzeit sechzig Prozent eines Jahrgangs an Universitäten und Hochschulen. Ich finde, wir sollten von diesem Drang wegkommen nur Akademiker auszubilden und Schüler auf Biegen und Brechen auf die Universität vorzubereiten, weil es das vermeintlich Beste für sie ist. Wir sollten mehr darauf schauen, ob ihre Fähigkeiten in der Praxis oder in der Theorie liegen, und es wertschätzen, wenn sie das selbst herausfinden. Das gilt für Deutschland und wohl auch für die USA.

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA begegne ich vielen jungen Leuten, die nicht wissen, was sie studieren sollen, oder ob der Studiengang, den sie belegen, der richtige für sie ist. Sie wechseln verzweifelt hin und her oder schieben den Beginn der Ausbildung immer wieder auf. Sie jobben lieber um herauszufinden, was das Richtige für sie ist. Hört man einigen von ihnen richtig zu, möchte man ihnen einfach nur den Ratschlag geben in einen Ausbildungsberuf zu wechseln, weil man heraushört, dass sie mehr daran interessiert sind praktisch zu lernen.

In Deutschland sollten wir aufhören die Stipendien, die an ehemalige Auszubildende die studieren möchten, vergeben werden, „Aufstiegsstipendien“ zu nennen. Das suggeriert nämlich, dass eine Ausbildung im Rang unter einem Studium steht. Dabei ist es einfach nur ein anderer Weg einen Beruf zu erlernen. Eine solche Stipendium ist eine wirklich gute Sache. Es kommt natürlich auch für mich in Frage, aber nicht um „aufzusteigen“, sondern um mich weiterzubilden!

Ich finde, das Deutsche Bildungssystem ist sehr gut aufgestellt und zudem auch noch verdammt günstig. Davon kann sich Amerika eine dicke Scheibe abschneiden! Wir sollten also unser Bestes geben unser System zu erhalten.

See you soon,
Eure Clara

 

 

Duluth

Ich weiß nicht mehr genau, wie lange es her ist, dass ich an der Côte d’Azur war, aber ich kann mich noch ganz genau daran erinnern wie wunderbar ich den Blick auf das klare Wasser fand, wie sehr ich es mochte an der Küste entlang zu fahren und das endlos weite Meer zu betrachten. Das war für mich immer ein sehr angenehmes Gefühl, auch daran zurück zu denken. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas hier in Minnesota finden würde. Ich habe das Land zunächst eher als einen rauen, pragmatischen Staat gesehen. Alles ist sehr platt, der Wind fegt unermüdlich durch und das Wetter wechselt mittlerweile von Tag zu Tag. Die Straßen sind Schnurgerade und wenn man doch mal abbiegen muss, dann im rechten Winkel.

Meine Gastmutter hatte mich und eine Freundin eingeladen für zwei Tage nach Duluth zu kommen und mit ihr eine Nacht dort zu bleiben. Also haben Claudia und ich uns am Freitagmorgen in mein Auto gesetzt und sind nach Norden gefahren. Etwa zweieinhalb Stunden fährt man durch unbewohntes Land, überquert Flüsse und Seen, die man irgendwann aufhört zu zählen, weil es zu viele sind. Manchmal steht ein einsamer Briefkasten an einer geschotterten Straße, aber man findet das Haus dazu nicht.
In den USA Auto zu fahren ist wirklich angenehm. Die Interstates, die man mit der deutschen Autobahn vergleichen kann sind bei weitem nicht so befahren, wie in Deutschland und zudem wird sich hier auch sehr gut an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten, die in MN bei etwa 110 km/h liegt. Was das fahren hier auch sehr besonders macht ist die Tatsache, dass man die Landschaft richtig genießen kann. Die Straße ist, anders als in Deutschland nicht von Lärmschutzwänden oder Leitplanken gesäumt. Ganz im Gegenteil, von Zeit zu Zeit wird sogar vor Wildwechsel gewarnt, was ich nur von deutschen Landstraßen kenne.

Bild: Am Strand

 

Je weiter wir nach Norden kamen, desto mehr fragte ich mich wo denn hier eine Stadt, geschweige denn der Lake Superior auftauchen soll. Nach einer längeren Weile mit Adam Levine und Dolly Parton im Ohr wurde unser Warten mit einem unbezahlbaren Ausblick belohnt. Und in diesem Moment wünsche ich mir, ich hätte ein Bild davon machen können: bevor man nach Duluth kommt schraubt sich die Straße den Berg hoch und man sieht eigentlich nicht genau, wo es hingeht und dann plötzlich am höchsten Punkt schieben sich die Hügel auseinander und geben einen endlos weiten Blick auf Duluth und den dahinter liegenden Lake Superior frei. In diesem Moment kann man nicht nur die ganze Stadt überblicken, die in einem Tal liegt, man sieht auch auf seiner rechten Seite nach Wisconsin, während man selber noch in Minnesota ist. Diese Aussicht hat uns endgültig die Sprache verschlagen. Duluth entpuppt sich danach allerdings erstmal als eine nicht wirklich schöne Stadt. Direkt am See gelegen hat sie sich zu einer Schifffahrts- und Industriestadt entwickelt. Hier teilt sich die Interstate auf und leitet einen entweder zum Südufer nach Wisconsin oder entlang des Nordufers nach Kanada weiter. Wir fuhren durch das entstehende Brücken-Wirr-Warr weiter in die Stadt hinein, bis zum Rosegarden von dem man einen herrlichen Blick auf den See hat. Von dort aus kann man wunderbar den See entlang zum Canal Park laufen. Der Canal Park teilt die Stadt von dem industriellen Part und den See vom Zufluss des St. Louis River. Es ist eine schöne Promenade, auf der Fahrrad gefahren wird, Pferdekutschen Touristen durch die Gegend fahren und sich ein Hotel an das nächste reiht. Dazwischen hat sich immer mal wieder ein Restaurant mit Seeblick einen Platz gesichert. Eigentlich hatte meine Gastmutter uns den Tipp gegeben bei „Grandma’s Saloon“ zu Mittag zu essen. Nachdem wir allerdings die Reklame für das Oktoberfest gesehen hatten und zudem die Musik mehr schrecklich war als Heimweh lindernd entschieden wir uns für die „Canal Park Brewing Company“ entschieden. Jedem den es nach Duluth verschlägt kann ich nur ans Herz legen dort ein Sandwich mit Fries zu essen. Erstens spricht der Seeblick sehr dafür auf der dortigen Terrasse Platz zu nehmen, aber auch das Essen ist wirklich gut.

Bild: Blick auf den Lake Superior vom Canal Park aus

Als Verdauungsspaziergang lohnt es sich den kleinen Kanal zu überqueren und der Straße zu folgen bis man einen Zugang zum Strand findet. Die Brücke ist auch einen Anblick wert, besonders, wenn sie hochfährt um ein Frachtschiff passieren zu lassen. Ich glaube es waren zwei oder drei Stunden, die Claudia und ich damit zugebracht haben fast schweigend nebeneinander zu sitzen, auf das Wasser zu schauen und dem Wellengang zuzuhören! Eines der schönsten Geräusche die man sich anhören kann. Abends haben wir uns noch den Enger Tower angeschaut und die 85 Stufen lohnen sich auf jeden Fall! Wir haben uns von dort oben den Sonnenuntergang angeschaut und wie nach und nach die Lichter der Stadt angehen, bis es ausschaut wie ein leicht orangener Sternenhimmel.

Für den nächsten Tag hatten wir geplant an der Küste entlang weiter zu fahren bis zum Split Rock Lighthouse und uns dann auf dem Rückweg die Gooseberry Falls anzuschauen. Und dass ist der Teil des Trips in dem ich für einen Moment dachte an der Côte d’Azur zu sein. Ron, der Vater meiner Gastmutter, hatte mir den Rat gegeben auf der Minnesotan Seite des Sees weiter zu fahren, weil er es dort schöner findet und damit hatte er einfach recht. Verlässt man Duluth kommt man zunächst auf einen kleineren Highway, der einen durch das Villenviertel der Stadt führt. Dort stehen die Häuser bis ans Wasser, wie am Wannsee, und sind mit Toren und langen Auffahrten von der Straße abgeschirmt. Zwischen den Häusern kann man immer mal ein kleines Stück vom Wasser erspähen. Und da war es wieder, das Gefühl, am Meer zu sein, die Faszination für diese Schönheit und Eleganz und die Überraschung hier so etwas zu sehen.

Bild: Split Rock Lighthouse

Das Split Rock Lighthouse liegt etwa fünfzig Meilen von Duluth entfernt, die Gooseberry Falls auf dem Weg dorthin. Die Straße führt einen direkt am See entlang immer weiter Richtung Kanada. Nachdem im November 1905 etwa dreißig Schiffe in einem Sturm verunglückt sind wurde beschlossen dort auf den Klippen einen Leuchtturm zu errichten. 1910 ging der Leuchtturm in Betrieb und konnte die folgenden knapp fünfzehn Jahre nur vom Wasser aus erreicht werden. Das Material für den Bau wurde ebenfalls über das Wasser geliefert und dann mit einem kleinen Transportzug den Hang hinaufgezogen. Die schienen sind zwar nicht mehr da, aber man kann den gleichen Weg hinunter zum Wasser nehmen. Der Strand dort ist im Grunde genommen ein langer, schwarzer Fels, der von den Wellen ganz rund und glatt gewaschen wurde.

In den zwanziger Jahren wurde dann eine Straße zu dem abgelegenen Leuchtturm gebaut, wodurch auch Touristen ihren Weg dorthin fanden, knapp 5.000 jedes Jahr bis in die dreißiger Jahre hinein. Und das zu Recht. Von dem Split Rock Lighthouse hat man einen endlos weiten Blick über den See. Ist das Wetter besonders klar kann man sogar das Ufer von Wisconsin sehen und obwohl einige Touristen jeden Tag dorthin begeben ist es dort eine wirklich schöne Atmosphäre. Man kann sich auch eines der ehemaligen Wärterhäuser anschauen. Der letzte Leuchtturmwärter leistete Dienst und lebte dort mit seiner Familie bis 1962 als der Leuchtturm geschlossen wurde. Mittlerweile ist das Split Rock Lighthouse eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten in der Umgebung von Duluth.

Bild: Die unteren Wasserfälle der Gooseberry Falls

Auf dem Rückweg hielten wir noch an den Gooseberry Falls. Das sind mehrere, in einem Nationalpark gelegene Wasserfälle die man auf einem Trail umrunden kann. Ich meine insgesamt sind es fünf Wasserfälle, wir haben uns drei davon angeschaut und wie jedes Mal an diesem Wochenende einfach mal nur am Wasser gesessen und die Geräusche genossen und Menschen beobachtet.

Jeder der in den Norden Amerikas reist sollte sich die Gegend um Duluth und den Lake Superior anschauen. Besonders im Herbst wenn sich die Blätter verfärben und alles Orange wird lohnt es sich auf den Weg in den Norden Minnesotas zu machen. Genau eine Woche nach dem Ausflug nach Duluth sind Claudia und ich wieder zusammen los. Diesmal an den Leech Lake. In dieser Woche hatte in Minnesota der Herbst Einzug erhalten und die Bäume leuchteten in Orange, Gelb und Rot. Auf dem Weg und am See kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus und unser Wortschatz beschränkte sich, wie auch schon auf der Fahrt nach Duluth, auf die Worte „Beautiful“ und „Wow“. Wir hatten an diesem Wochenende nicht wirklich viel Glück mit dem Wetter, aber ich denke, dass genau das, das bezaubernde war. Obwohl es den ganzen Sonntag regnete leuchtet alles so herrlich, als würde die Sonne scheinen. Anstatt sonntags direkt zurück nach St. Cloud zu fahren machten wir einen Schlenker nach Westen zum Lake Itasca und somit zu der Quelle der Mississippi. Der Mississippi entspringt aus einem See zweieinhalb Stunden nördlich von St. Cloud. In St. Cloud selber ist der Fluss unheimlich breit, unter anderem, weil er hier angestaut wird.

Bild: An der Quelle des Mississippi

Als ich zum ersten Mal bei GoogleMaps nach St. Cloud geschaut habe, war ich richtig aufgeregt, dass die Stadt am legendären Mississippi-River liegt. Als mir meine Gastmutter dann auch noch erzählte, dass die Quelle nicht weit entfernt liegt, stand der Plan fest diese Quelle zu sehen. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass der Fluss hier im Norden noch nicht legendär ist, sondern erst in den Südstaaten, vermutlich hat da Mark Twain nachgeholfen. Lake Itasca liegt in dem gleichnamigen Nationalpark den man mit dem Auto durchfahren kann. Es ist kein sonderlich großer Park aber die Straße führt einen einmal in Kreis, entlang verschiedener Seen und über den Mississippi. Eigentlich weiß ich, dass jeder Fluss mal klein angefangen hat und trotzdem war ich überrascht, dass auch der Mississippi als kleiner Bach loslegt, bevor er zu einem ausgewachsenen Gewässer wird. Nachdem ich jetzt schon die Quelle des Flusses gefunden habe möchte ich auch gerne sehen, wie er bei New Orleans in den Golf von Mexiko mündet. Ob ich das dieses Jahr noch schaffe, oder ob ich diesen Plan weiter vor mir herschiebe, werde ich noch sehen.

Jetzt bin ich erstmal glücklich, es geschafft zu haben euch von dem wunderbaren Herbst im Norden von Minnesota erzählt zu haben und freue mich schon darauf meine Eindrücke von North und South Dakota aufzuschreiben.

See you soon,
eure Clara