Meinen letzten Eintrag für euch schreibe ich im Zug. Vor mir liegen jetzt 13 Stunden Fahrt und hinter mir vier italienische Wochen, die mir wie eine einzige vorkommen.
Vorhin auf dem Bahnsteig kam zum Glück doch noch die Sonne raus. Nach zwei verregneten Tagen konnte ich mein Gesicht noch einmal ihr entgegen strecken und dabei den Glocken vom Monte Berico zuhören. Einen Klang, den man in der ganzen Stadt hört.
Auch jetzt scheint mir die Sonne voll ins Gesicht, während an den Fenstern die Landschaft vorbeifliegt. Sie ist mir bekannt und fühlt sich schon ein wenig vertraut an. Von meiner Anreise, sowie meinen Fahrten nach Desenzano und Verona habe ich sie noch im Kopf.
Ich habe ein Abteil für mich und genieße die Ruhe und die Ausblicke.
Die vergangene Woche war ein wenig ungewiss. Irgendetwas war anders, als in den letzten Tagen und wir Praktikantinnen verstanden nicht was Sache war. Wir beide hatten mehr das Gefühl im Weg zu stehen, als Hilfreich zu sein, was wohl auch daran lag, dass es ab Mittwoch Dienstag keinerlei Aufgaben mehr gab, die wir beide hätten erledigen können. Im Moment arbeitet das Atelier an Herrenkostümen im Stil des 18. Jahrhunderts. Getragen werden sie von einem Ensemble, dass die Musik dieser Zeit spielt. Nachdem Aurélie und ich zwei Tage damit zugebracht hatten Knöpfe zu beziehen, Knopflöcher aufzuschneiden und die Knöpfe anzunähen, hatte die Chefin der Schneiderei leider keine Aufgabe für uns übrig. Sie ist eine freundliche, aber trotzdem strenge Frau, die bei Praktikanten wohl eher selten zweite Chancen vergibt. Weil Aurélie in ihrer ersten Woche ein Knopfloch aus Versehen zu weit aufgeschnitten hatte, ließ sie sie kein einziges weiteres Knopfloch aufschneiden und betonte bei der Erklärung, was zu tun sei immer wieder, dass nur ich die Knopflöcher aufschneiden dürfe!
Leider durften wir beide bis dahin auch kaum an der Maschine nähen, da wir zur Zuarbeit eingesetzt wurden. Es ist nicht so, dass ich nicht gerne Knöpfe annähe, es ist ein entspannte Arbeit, aber sie fordert nicht und ich hätte gerne mehr geholfen. Zudem verstehe ich nicht, warum ich die Dinge, die ich zusammen stecke nicht in einem Arbeitsfluss direkt auch selber zusammennähen darf.
Aber wir haben schnell begriffen, dass man besser nur das tut, was einem gesagt wird. In einem Moment, in dem ich nichts zu tun hatte wollte ich Aurélie helfen und wurde sehr streng zurück gerufen. Der Umgang mit uns beiden blieb etwas strenger und nach dem wir auch darauf hingewiesen wurden nicht zu lachen, fragten wir uns schon, ob wir irgendwann einen Fehler gemacht hatten. Was das eigentliche Problem war, werden wir aber wohl nicht herausfinden, weil uns da leider nach wie vor die fremde Sprache im Weg steht.
Ich denke nach der ersten Euphorie, dort arbeiten zu dürfen, begriff ich in der letzten Woche, dass es sich bei diesem Atelier auch einfach um einen Betrieb handelt, der seine Aufträge erledigen muss und das ein, oder andere Mal dadurch in Stress gerät. Und da können fragende Praktikanten auch mal lästig sein.
Ich hatte das Glück, dass eine Kollegin mich bat ihr dabei zu helfen eine Stoffbahn auf dem Zuschneidetisch zurechtzulegen, mir danach erst ein Schnittmuster und dann eine Schere in die Hand drückte. Und ehe ich es begriffen hatte half ich beim Zuschnitt von drei Kostümjacken.
Die letzten Stunden wurde uns dann Zeit gegeben Durch die Werkstatt und alle anderen Räume zu gehen, Fotos zu machen, und an Aurélies Praktikumsbericht zu arbeiten. Zudem erlaubte uns Stefano auch ein, oder zwei Kostüme auszuprobieren!
Am Mittwoche lernte ich Marie kennen. Ebenfalls eine deutsche Praktikantin, die noch zwei Woche in Venedig arbeiten wird. Während sie sich um Knopflöcher und Knöpfe für die Kostümwesten kümmerte wurde Aurélie und mir gesagt wir könnten uns doch etwas als Andenken nähen und so patchte ich los. Genauso wie in der ersten Woche kam ich mir wie eine totale Anfängerin vor, weil ich mich wieder an die Maschinen und das komplette andere Arbeitsmaterial gewöhnen musste.
Ich muss wirklich sagen, dass ich mir sehr auf meine Scheren und Nadeln in Deutschland freue. Einerseits, weil ich dort einfach permanent meine eigenen habe und nicht schauen muss, wo gerade eine frei ist. Andererseits, weil sie einfach besser schneiden!
Als ich mich dann aber am Freitag bei allen verabschiedete und mich für die Zeit bedankte hatte ich schon das Gefühl, dass viele es schade fanden, dass Aurélie und ich gingen und wir wurden gebeten uns doch das ein oder andere Mal wieder zu melden.
Abends, als mir Federica dann mein Zertifikat gab, sagte sie mir, dass mein Praktikumsbetrieb sehr positiv von mir gesprochen hat und Stolz auf mich sei. Das freute mich natürlich sehr, verwunderte mich aber auch nach dieser verrückten vergangenen Woche.
Die Landschaft wird langsam schroffer und die Berge rücken rechts und links immer näher. Ich bin gerade seit einer Stunde unterwegs und es ist noch eine Stunde bis Bolzano. Durch das Tal schlängelt sich ein Fluss, entlang dem so weit das Auge reicht Weinfelder liegen. Genau wie auf der Hinfahrt, finde ich diese Landschaft wirklich faszinierend. Sie ist wie ein Überraschungsei. Die Berge schieben sich so ineinander, dass man sich immer fragt, wo denn da eine Bahnlinie, geschweige denn eine vierspurige Autobahn lang laufen kann. Aber es findet sich immer ein Weg. Genauso ist es immer wieder unfassbar, wenn man auf dem höchsten, schmalsten Felsvorsprung eine Burg erkennt und man sich fragt, wie die gebaut werden konnte.
Die letzte Woche war auch durchzogen von Abschieden und meiner Fassungslosigkeit wie unbemerkt schnell vier Wochen vorübergehen können. Ich hatte sehr großes Glück. Ich dachte lange Zeit, dass ich nach Glasgow gehen würde und endlich mal Schottland kennen lernen würde. (Und das alles nur wegen „Outlander“. Ich wollte die Landschaft der Serie kennenlernen).
Aber mir hätte nichts besseres passieren können, als für vier Wochen nach Vicenza zu gehen und in Venezia arbeiten zu dürfen. In einem Atelier, dass für die Outlander-Produktion gearbeitet hat. (Da schließt sich der Kreis wohl wieder.)
Ich habe wundervolle, schöne Städte kennengelernt: Verona – Vicenza – Venezia. Meine drei V’s die ich unbedingt wiedersehen möchte.
Ich habe tolle Menschen kennengelernt die ich hoffentlich wiedersehen werde!
Wer weiß wann.
Und bis dahin heißt es: „Mille Grazie a tutti! Thank you so much for everything! Merci beaucoup Vincent <3! Vielen vielen Dank für diese wunderbare Zeit!“
Ich werde jetzt meine Aussicht genießen, die letzten italienischen Momente einfangen und eine Runde Schlaf nachholen.
Arrivederci a tutti!
Eure Clara