Die erste Heimwehwelle hat mich ziemlich unerwartet überrollt, aber zum Glück nicht weggeschwemmt. Ich habe in den letzten Wochen so unheimlich viel erlebt und mich gut eingelebt, dass ich für den Gedanken ob ich Deutschland vermisse gar keinen Platz in meinem Kopf hatte. Nicht dass ihr jetzt denkt, dass ich Deutschland gar nicht vermisse, aber hier ist es auch schön. Ich wollte einfach gerne jedem zeigen, wie ich hier jetzt lebe. Es war für mich einfach das Gefühl umgezogen zu sein und jetzt in einer neuen Stadt zu leben. Dass im Moment ein Ozean zwischen Freunden und Familie und mir liegt habe ich bisher noch nicht kapiert.
Die letzten drei Jahre habe ich in Kassel gelebt. Das sind mit dem ICE zwanzig Minuten von meiner Heimatstadt Göttingen. Wenn alle Stricke rissen und ich mich nur noch zu Hause wohlgefühlt habe, bin ich auch mal für nur eine Nacht zu meinen Eltern gefahren. Sehr spontan meistens. Den letzten Monat bevor ich in die USA ausgereist bin habe ich auch in Göttingen verbracht.
Der pazifische Ozean in San Francisco
Als ich vor vier Jahren nach dem Abitur von zu Hause ausgezogen bin, hat es zwei Monate gebraucht, bis ich wieder Lust darauf hatte nach Hause zu fahren. Im Moment ist es ähnlich. Ich habe mich unter anderem auch auf den Weg in die USA gemacht, weil ich endlich mal wieder etwas neues und ungewohntes sehen wollte. Das hat geklappt. Was nicht so gut geklappt hat war sich innerlich darauf vorzubereiten, dass der diesjährige Geburtstag anders ausfallen würde wie gewohnt.
An sich ein toller Tag, den ich wirklich genossen habe und an dem ich Spaß hatte. So sehr, dass ich erst abends als die ganze Aufregung darüber vorbei bemerkt habe, wie sehr mir meine Familie und der alljährliche Schokokuchen mit Kerzen gefehlt hat. Für mich war es wirklich ganz anders als sonst.
Mein Geburtstag ist der 3. Oktober, Tag der deutschen Einheit. In Deutschland also ein Feiertag. In Amerika halt einfach ein Dienstag mit Schule, Arbeit und Cross Country. Vielen lachen mich gerne aus, wenn ich frage, wie das ist am eigenen Geburtstag arbeiten zu müssen, oder in die Schule zu gehen. Jetzt weiß ich es selber: man kann es ertragen, ist aber trotzdem komisch und ich freue mich auf das nächste Jahr in dem es Kuchen von Mama und das lauteste Geburtstagsständchen von der ganzen Familie gibt.
Heimweh ist ein komisches Gefühl. Ich könnte da lachen und weinen zur gleichen Zeit. Es ist unglaublich schön hier und ich freue mich hier sein zu können und das alles erleben zu dürfen. Manchmal glaube ich vor Glück fast zu platzen und ich weiß gar nicht wohin mit all den Glücksgefühlen. Und dann möchte ich einfach nur in Tränen ausbrechen, weil ich mich unglaublich einsam fühle und jetzt nicht die Umarmung von meiner Familie bekommen kann, die ich gerne hätte.
„The Mission“: Das älteste Bild in dieser Straße
Ich hatte zum Glück nicht viel Zeit um mich vom Heimweh mitnehmen zu lassen, denn ich hatte Flüge nach San Francisco gebucht. Das letzte Wochenende habe ich also bei einer alten Bekannten verbracht. Kerry hat selber vor dreizehn Jahren ein Jahr im Ausland und zwar in Deutschland in meiner Heimatstadt verbracht. Leider ist der Kontakt verloren gegangen, aber dank meiner großen Schwester wiedergefunden worden. Also habe ich mich vergangen Donnerstag auf den Weg zum Flughafen gemacht und mir zunächst die Stadt bei Nacht und aus der Luft angeschaut. Es ist ein unglaublicher Anblick, der sich da einem bietet. Es schaut aus wie der Sternenhimmel, nur halt unter einem. Den gleichen Anblick kann wunderbar von den Twin Peaks genießen. Die zwei Hügel liegen etwa im Zentrum der Stadt San Francisco. Man hat also eine schöne Rundum Ansicht auf die Stadt, die Bucht und das Meer.
Auf unserem Programm standen die Cable Cars, Alcatraz, die Golden Gate Bridge und „La Traviata“ in der San Francisco Opera. Seitdem ich vor vielen Jahren zum ersten Mal „Pretty Woman“ gesehen habe, wollte ich immer mal in die San Francisco Opera und es war mit das Beste, was ich an diesem Wochenende erlebt habe. In Deutschland bekommt man selten Inszenierungen zu Gesicht, die von Anfang bis Ende in historischen Kostümen gespielt werden. Und genau das bekommt man in San Francisco zu sehen inklusive historisch korrekten Räumlichkeiten. Einfach eine zauberhafte Welt die von Verdis Musik wunderbar umrahmt wird.
San Francisco ist zum Glück nicht wie New York. Man braucht zwar auch furchtbar lange um von einem Punkt zum anderen zum anderen zu kommen, aber es liegt nicht diese Hektik in der Stadt, die ich in New York sehr anstrengend fand. Auch die Häuser und das Ambiente hat mich mehr an eine Mixtur aus Europa und Mittelamerika erinnert. Es gibt nur wenige Wolkenkratzer in San Francisco, und dadurch auch wenig Gebäude aus grauem Beton und Glas. Besonders sehenswert sind die sogenannten „Painted Ladies“. Sie sind durch die Serie „Full house“ bekannt geworden, aber abgesehen davon einfach die schönsten Häuser der Stadt.
„Painted Ladies“ mit Downtown im Hintergrund
Ein anderer sehenswerter Ort sind die bemalten Wände in dem Viertel „The Mission“. Man findet die ein oder andere bemalte Wand in dem ganzen Viertel aber eine Straße ist wie eine Open-Air Gemäldegalerie. Ein Bild neben dem anderen und sie werden regelmäßig übermalt und es entstehen jede Menge neue Bilder. „The Mission“ ist ein sehr internationales Viertel. Dort trifft man auf Mexikaner, Vietnamesen, Japaner, Deutsche, Franzosen und auch auf Amerikaner. Wer schon einmal dort ist sollte auf jeden Fall bei der „bi-rite Creamery“ vorbeischauen und sich eine ihre ungewöhnlichen Eissorten aussuchen. Dort gibt es eigentlich alles von Olivenöl-Eis bis Salted-Caramel und Kürbiseis. Wenn man dann doch mal die deutsche Küche vermisst, so wie ich vergangene Woche dann lohnt sich ein Besuch im „Schmidt’s“. Dort bekommt man Wurstplatten, Schnitzel mit Spätzle und sehr leckeren Leberkäse. Und dabei ist es kein billiger Abklatsch, sondern wirklich gut!
„Castro“ ist bekannt, weil es die Homosexuellenszene in San Francisco ist. Außerdem haben hier bekannte homosexuelle Literaten wie „Gertrude Stein“ und „Tennessee Williams“ gelebt und gewirkt. Das Viertel grenzt an „The Mission“ und ist alternativ angehaucht. Es ist das erste Mal das ich einen Laden an dem nächsten sehe, seitdem ich hier in den USA bin. Es gibt mir das Gefühl in einer Fußgängerzone unterwegs zu sein und einfach mal von Laden zu Laden zu bummeln. Eigentlich unüblich in den USA.
Ein sehr interessantes Erlebnis war für mich der Besuch auf der Gefängnis-Insel „Alcatraz“. Ich habe nie einen Film darüber oder einen der Insassen gesehen, aber ich hatte davon gehört und wollte es gerne sehen. Man kann dort themengebundene Führungen machen, wie zum Beispiel zu „Al Capone“ oder „die Insel als Naturschutzgebiet“. Kerry und ich haben uns für die einfache Tour mit dem Audio-Guide entschieden. Man wird etwa sechzig Minuten durch alle Teile des Gefängnisses geführt und hört Geschichten über berühmte Insassen wie den „Birdman“, „Machine Gun Kelly oder „Ol’Creepy Karpis“, verschiedenste Fluchtversuche und wie es für die Kinder der Wärter war auf der Insel aufzuwachsen. Alcatraz liegt etwa zwei Kilometer von der Stadt entfernt. Gerade nah genug um am Silvesterabend, die Musik und das Gelächter der feiernden Stadt zu hören aber weit genug entfernt um nicht fliehen zu können, weil man die Strecke in dem kalten Wasser nicht überlebt.
Die meisten Touristen kommen nach Alcatraz um diese Geschichten zu hören. Es gibt aber auch eine Geschichte nachdem das Gefängnis 1963 geschlossen wurde und die man immer noch sehen kann. Im Jahr 1968 haben Indianer verschiedener Stämme die Insel besetzt. Sie wollten damit auf ihre Situation aufmerksam machen: die amerikanische Regierung hat ihnen nach und nach immer mehr Land weggenommen und sie in Reservate umgesiedelt. Ganze achtzehn Monate blieben sie auf der Insel. Die Regierung reagierte indem sie ein Teil der Länder an verschieden Indianerstämme zurückgab. Leide wird in der Führung nicht darüber gesprochen. Man kann es durch Tafeln an den Wänden lesen und ein kleiner Teil des Einführungsfilmes zeigt Bilder aus diesen Tagen.
Die rote Schrift stammt von der Besetzung 1968
Ich bin froh, dass ich nach San Francisco fliegen konnte und dadurch über das Heimweh weggekommen bin. Während meiner ersten Woche an der St. Cloud State University, hat unsere Betreuerin uns eingebläut, gerade in diesen Momenten aus dem Zimmer rauszugehen und andere Menschen zu sehen. Dafür zu sorgen, dass man beschäftigt ist und etwas erlebt. Ich weiß aber auch, dass es okay ist Heimweh zu haben, das zeigt mir, dass ich immer gerne zu Hause war und dass es besonders schön wird, wenn ich meiner Familie und Freunde nächstes Jahr wiedersehe!
See you soon,
Eure Clara